„Bubblianzen“ gegen rechts

Mit Netzwerken wollen „Die Vielen“ dem Rechtsdrall begegnen. Und nebenher ergründen, wie jemand als cool gelten kann, der für die Erhaltung des Bestehenden kämpft.

Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 49/2024, Foto oben: Eva Kienholz

Zu elektronischen Beats werden kleine Karten an die Wand projiziert, die eben noch von den Teilnehmenden ausgefüllt worden sind. „Ich fühle mich…“ steht da auf einer Karte – und die Antworten: „ohnmächtig“. „Motiviert, aber planlos.“ „In der Schwebe“. Den Einfluss der AfD erleben die Teilnehmenden, wenn etwa „die CDU ihre Rhetorik kopiert“, „Sanktionen gegen Geflüchtete von der Bundesregierung verschärft werden, um Wählerstimmen abzugreifen“, oder „sich alle Diskurse nach rechts bewegen“. Auf einer anderen Karte heißt es: „Ich erlebe Rechtsextremismus, wenn …“: „… ich in Pirna bin.“

Leute aus der Kunst- und Kulturszene haben in der Akademie der Künste am Brandenburger Tor einen ganzen Tag lang Ideen gegen Rechtsextremismus ausgetauscht. Welche Freiheiten braucht diese Gesellschaft? Welchen Schutz? Welche Verbote? Zu diesem „Ratschlag der Vielen“ hat der Verein „Die Vielen“ geladen, dem sich seit 2017 über 4.500 Institutionen sowie Aktive aus Kunst und Kultur angeschlossen haben. Das Stimmungsbarometer mit den kleinen Karten, aufgesetzt vom Berliner Theater- und Performancekollektiv Turbo Pascal, bildet den Auftakt zu einem Tag voller schmerzhafter Fragen und einiger Antworten.

Doch bevor es richtig losgeht, werden weitere Impulse gesetzt. Die Autorin Jagoda Marinić kritisiert in ihrem Vortrag die Kürzungen im Berliner Kulturetat. 11,6 Prozent muss die Kultur einsparen, rund 130 Millionen Euro soll sie weniger bekommen. Gerade kleine Kulturprojekte, die sich etwa für Diversität starkmachen, werden kaum Überlebenschancen haben. Die Politik, so Marinić, müsse die Kultur ernstnehmen und nicht diesen „Zermürbungsprozess“ durch Kürzungen weiter vorantreiben.

Eine solche Entwicklung dürfte besonders die AfD freuen. Schon seit Jahren droht die Partei damit, demokratiefördernden Projekten den finanziellen Stecker zu ziehen, wenn sie denn eines Tages an die Macht kommt. Um das zu verhindern, könnte ein Verbotsverfahren gegen die AfD eingeleitet werden. Zuletzt haben 113 Bundestagsabgeordnete einen entsprechenden Antrag eingereicht. Doch angesichts der anstehenden Neuwahlen ist offen, ob ihr Antrag noch in dieser Legislaturperiode auf die Tagesordnung kommt. Beim Ratschlag der Vielen aber ist dieses Thema allgegenwärtig. Nicht nur die kleinen Karten von Turbo Pascal dealen mit der Frage „AfD-Verbot ja oder nein?“, auch der Autor und Jurist Bijan Moini legt in seinem Vortrag die Risiken und Chancen offen, die so ein Verbotsverfahren mit sich bringt.

Für Moini geht es nicht mehr um die Frage, ob die gesamte AfD rechtsextrem ist oder nicht, sondern darum, ob dies für ein Verbot ausreichend nachweisbar sei. Als Beispiel nennt er die neonazistischen Pläne der Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“, von der drei Mitglieder der AfD angehörten, als sie festgenommen worden sind. Inzwischen hat der sächsische Landesverband den Parteiausschluss gegen sie beschlossen. Die Pläne der „Sächsischen Separatisten“ hätten der AfD nur zugerechnet werden können, wenn die Gesamtpartei sie geduldet hätte. Während Moini nicht ganz davon überzeugt ist, den Verbotsantrag jetzt zu stellen, ist die Mehrheit derer, die die kleinen Karten ausfüllen, dafür, etwa „weil sie den demokratischen Diskurs zersetzen“. Oder „weil der Staat sonst weiter Faschisten finanziert“.

Das Herz der Veranstaltung besteht aus fünf Workshops, die zeitgleich an fünf Kulturstätten wie dem Humboldt-Forum oder dem Maxim-Gorki-Theater stattfinden: Kunst der Demokratie, Kunst des Politischen, Kunst der Kollaboration, Kunst des Rechts sowie Kunst des Handelns. Diese Arbeitsgruppen sollen unter verschiedenen Blickwinkeln konkrete Handlungsoptionen herausarbeiten. Eine Frage, die an diesem Tag immer wieder debattiert wird: Wie gelingt es, verschiedene „Bubbles“ innerhalb der Kunst- und Kulturbranche, aber auch darüber hinaus – wie die Klima-Bewegung oder soziale Initiativen – im Kampf gegen Rechtsextremismus besser zu vernetzen? Helge Lindh, kulturpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, wird später in der Akademie der Künste von „Bubblianzen“ sprechen, die gebildet werden müssten. „Der Rechtsextremismus ist da“, moniert Lindh, „aber der Aufschrei ist steckengeblieben“.

Wer den Teilnehmenden des Ratschlags der Vielen zuhört, nimmt zwei Konfliktebenen wahr, die die Kunst- und Kulturbranche aktuell beschäftigen. Auf der ersten Ebene geht es um den gemeinsamen Kampf gegen Rechtsextremismus. Und damit auch um eine eigene Position in der Frage nach dem gerade viel diskutierten Verbotsverfahren. Gleichzeitig leitet dieses mögliche Verbot aber auch zur zweiten Ebene über, in der vor allem die Rolle des Staates und die eigene Perspektive auf diese Rolle reflektiert werden müssen. Viele sehen sich wegen der AfD gezwungen, für den Erhalt des Bestehenden zu kämpfen. Dazu sagt Anh-Linh Ngo, Vizepräsident der Akademie der Künste: „Gegenkultur ist jetzt die Rechte. Wir sind uncool, weil wir momentan für die Erhaltung des Vorhandenen stehen.“ Nach Ngo hätte sich die linke Gegenkultur ästhetisch absorbiert. Womit vor allem gemeint sein dürfte, dass einst genuin linke Codes mittlerweile in die Verhaltensweisen der Mehrheitsgesellschaft eingeflossen sind und nicht mehr fürs Rebellentum taugen – manche von ihnen wie eine Gegen-die-da-oben-Attitüde wurden gar von Rechtsaußen oder „Querdenkern“ verschluckt. Das erklärt vielleicht zumindest teilweise, warum aktuell so viele junge Menschen ihre Stimme der AfD geben.

Tatsächlich scheint sich angesichts der gegenwärtigen antidemokratischen Entwicklungen im Kosmos der Kunst etwas verschoben zu haben: Hat früher die Kunst als solche gesprochen, sind es heute oft die Künstler selbst, die sich politisch positionieren (müssen). Hinzukommt, dass viele in der Branche von staatlichen Mitteln finanziell abhängig sind, was zu einer Annäherung von Kunst und Staat führt. Zuletzt hat diese Melange beim Nahostkonflikt zu Verwerfungen geführt. Nicht selten wurden Künstlerinnen und Künstler von Kultureinrichtungen ausgeladen, die sich deutlich pro-palästinensisch positioniert haben. Beim Ratschlag der Vielen mahnt etwa Amelie Deuflhard, Intendantin des Hamburger Kulturzentrums Kampnagel: „Wir brauchen weiter die Freiheit der Kunst, wir dürfen nicht canceln oder boykottieren.“

Das aktuelle Erstarken einer reaktionären CDU samt konservativer Kulturpolitik und einer rechtsextremen AfD könnte dafür sorgen, dass sich Kunst und Staat künftig wieder fremder werden – wodurch Linke wieder mehr Gegenkultur betreiben könnten. Allerdings ist es keine Option, auf einen rechten Zeitgeist zu hoffen, nur um sich ihm mit künstlerischer Verve entgegenstellen zu können, will man doch genau das verhindern. Was also ist jetzt zu tun?

Bezogen auf die Berliner Kulturpolitik fordern viele hier einen Generalstreik, sollten die Kürzungen wirklich kommen. Was das Handeln gegen Rechtsextremismus angeht, plädieren Teilnehmende für ein besseres Agenda Setting. Oft existiert die Wahrnehmung, dass Kultur nur für die da oben sei, meint etwa Jagoda Marinić. Anh-Linh Ngo fordert, Agenda Setting nicht der anderen Seite zu überlassen. Immer wieder sprechen Teilnehmende von positiven Bildern und Strategien, die es jetzt braucht – auch um junge Leute zurückzugewinnen. Dafür müsste die eigene Rhetorik weiterentwickelt und bloß nicht die Rhetorik der Rechten adaptiert werden. Doch wie genau diese eigene Rhetorik, die positiven Bilder und ein besseres Agenda Setting aussehen sollen, bleibt nach diesem Tag im Unklaren.

Schon 2019 fand ein Ratschlag der Vielen in Nürnberg statt. Die Dramaturgin und Kuratorin Felizitas Stilleke, die schon damals dabei war, meint, dass die Stimmung eine andere war. „Es gab mehr Glanz und Optimismus.“ Heute sei eine Zermürbung spürbar. Andere Teilnehmende des diesjährigen Ratschlags sprechen von den vielen Schockmomenten, die es zuletzt in großer Anhäufung gab – wie der rechtsextreme Aufmarsch beim CSD in Bautzen, die Correctiv-Enthüllungen um die Pläne zur „Remigration“, die Trump-Wahl in den USA oder die Landtagswahlen in Ostdeutschland, bei denen die AfD besonders stark abschnitt. Diese Schockmomente haben bei vielen für Erschöpfung gesorgt. Und so bleibt am Ende des Ratschlags das ungute Gefühl zurück: Es wurde einiges gemacht, nur reicht es nicht, um ein Erstarken des Rechtsextremismus zu verhindern. Aber es bleibt auch ein gutes Gefühl: Es sind viele bereit, weiter zu kämpfen.