Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 04/2021, Foto oben: Eva Kienholz
Zumindest klärt sich gerade so manches Verhältnis. Im Jahr 2018 haben Gespräche von Hans-Georg Maaßen mit der AfD-Spitze für viel Aufregung gesorgt. Ob der damalige oberste Verfassungsschützer wirklich Ratschläge dafür erteilt hat, wie die Partei einer Beobachtung durch seine Behörde entgehen könnte, hat sich nie abschließend geklärt. Dafür vertritt die Kanzlei Höcker, für die Maaßen seit 2019 tätig war, die AfD nun juristisch. Aktuell klagt die Partei gegen ihre mögliche Hochstufung zum Verdachtsfall und gegen Berichte über ihren radikalen „Flügel“. Maaßen hätte sich nun einbringen dürfen. An diesem Dienstag verließ er die Kanzlei, um einen „negativen Beigeschmack“ zu vermeiden.
Allein das Damoklesschwert einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz lässt die AfD gegenwärtig taumeln. Zu Beginn des Superwahljahres – 2021 stehen neben der Bundestagswahl sechs Landtags- und drei Kommunalwahlen an – präsentiert sie sich nicht mehr als „gäriger Haufen“, wie Alexander Gauland sie einst adelte, sondern als reines Nervenbündel. Erstmals seit 2015 sinkt die Zahl der Parteimitglieder, von knapp 35.000 auf 32.000. In aktuellen Umfragen liegt die AfD knapp unter zehn Prozent. Vor allem die staatsbediensteten Parteigänger dürften einer offiziellen Einstufung als Verfassungsfeinde – und nichts anderes wäre eine Beobachtung in der öffentlichen Wahrnehmung – alles andere als gelassen entgegensehen. Ihnen könnte der Verlust ihres Beamtenstatus drohen. Für die Republikaner war eine solche Einstufung in den 1990ern ein harter Schlag.
Selbst Anhängern, die staatsfern arbeiten und denen der offene Machtkampf zwischen Björn Höcke und Jörg Meuthen samt ihren jeweiligen Lagern nicht viel auszumachen scheint, dürften Thomas Haldenwang und der von ihm geführte Verfassungsschutz die Laune vermiesen. Dabei hat sein Einsatz gegen rechts System. Ob die „Identitäre Bewegung“, das „Institut für Staatspolitik“, das neurechte Netzwerk „Ein Prozent“ oder das Magazin Compact – sie alle hat der Verfassungsschutz stärker an die Kandare genommen, indem er sie unter Beobachtung gestellt hat. Das gilt auch heute bereits für den „Flügel“ und die von ihm geprägten AfD-Landesverbände Brandenburg, Thüringen und seit neuestem auch Sachsen-Anhalt. Wie ein investigativer Journalist bei einer komplexen Recherche scheint sich Haldenwang im neurechten Sumpf von außen nach innen vorzukämpfen – nun könnte mit der gesamten AfD das Kraftzentrum rechtsextremer Bestrebungen in Deutschland drankommen.
Klar ist natürlich, dass eine Hochstufung der AfD vor Gerichten bestehen muss, um nicht als Boomerang zurückgeflogen zu kommen. Und klar ist auch, dass der Verfassungsschutz nicht den politischen Kampf gegen eine Partei ersetzen kann, die in Teilen des Landes immer noch große politische Zustimmung genießt. Allein der Verdacht, der Verfassungsschutz könnte von den demokratischen Parteien als Rammbock gegen die rechte Konkurrenz benutzt werden, wäre fatal. Allerdings scheint die lange Zeit erfolgreiche Methode der Mobilisierung von Wählern durch die Selbststilisierung zum Opfer der etablierten „Altparteien“ für die AfD gegenwärtig an ihre Grenzen zu stoßen.
Vertraulicher Zwischenbericht
Die AfD selbst hat zuletzt einiges getan, um das Blatt noch zu wenden. In einer „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, die auch Höcke unterzeichnet hat, bekennt sie sich „zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen“. Natürlich sagt es schon eine Menge aus, wenn eine Partei für ein solches Bekenntnis eigens eine Erklärung braucht, aber zumindest in der Medienöffentlichkeit wirken solche Worte wie eine – wenn auch reichlich krude – Positionierung auf der demokratischen Seite des politischen Diskurses.
Außerdem versucht die AfD, ein ihr zugespieltes vertrauliches Papier des Berliner Verfassungsschutzes für sich zu nutzen. Dabei geht es um einen Zwischenbericht, laut dem es keine „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD Berlin“ gebe, die eine Erhebung zum Verdachtsfall rechtfertigen könnten. Die Senatsinnenverwaltung verweist allerdings auf methodische Mängel des Papiers, das keine abschließende Bewertung darstelle. Der Referatsleiter Rechtsextremismus musste vorläufig seinen Stuhl räumen. Für eine handfeste Krise beim Berliner Verfassungsschutz taugt diese Episode allemal – für eine Schubumkehr in der Einstufung der AfD wohl kaum.
Wie ein Türsteher, der einem aufsässigen Clubgast die Nase zertrümmert und diesen dann auch noch anzeigt, versucht die AfD aktuell, den politischen Gegner von allen Seiten zu bearbeiten. Dies würde der Partei vermutlich durchaus gelingen, wenn die Ereignisse aus dem Frühjahr 2020 nicht immer noch so stark nachwirken würden. Der Rausschmiss des radikalen Netzwerkers Andreas Kalbitz durch Parteichef Meuthen hat parteiintern für gewaltiges Chaos gesorgt, das weiter andauert. Nicht zuletzt deshalb, weil Kalbitz weiterhin juristisch gegen seinen Rauswurf vorgeht. Zuletzt wies das Berliner Kammergericht die Berufung des ehemaligen Brandenburger Partei- und Fraktionschefs gegen die vorherige Ablehnung seines Eilantrags durch das Landgericht ab. Kalbitz hatte erreichen wollen, dass die AfD ihm bis zu einer endgültigen Entscheidung alle Rechte einer Parteimitgliedschaft belässt.
Noch nie war die AfD so gespalten wie heute. Und noch nie war der Machtkampf in den eigenen Reihen so zugespitzt. Das zeigte sich etwa auf dem Bundesparteitag in Kalkar im Spätherbst des vergangenen Jahres, wo Meuthen vor laufenden Kameras die völkischen Kader als Provokateure beschimpfte. Seine Rede war womöglich der lauteste Versuch, die Rechtsaußen in den eigenen Reihen verstummen zu lassen. Geklappt hat es nicht.
Mitte März folgen die ersten Landtagswahlen, darunter die in Baden-Württemberg. Laut aktuellen Prognosen liegen dort Grüne und CDU mit 30 Prozent gleichauf, die AfD kommt auf zwölf Prozent. Mit der Landesvorsitzenden Alice Weidel und Jörg Meuthen konkurrieren gleich zwei prominente Bundespolitiker um die Macht im Südwesten. Zudem sind dort besonders viele Hardliner aktiv, die nach wie vor zu Höcke und Kalbitz halten. Weiterer Streit ist also vorprogrammiert. Anfang Februar will der Landesverband trotz Pandemie zudem einen Präsenz-Parteitag in Stuttgart abhalten. Dabei hat gerade erst der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, die Zustimmung zur AfD indirekt mitverantwortlich gemacht für die hohen Corona-Zahlen in manchen ostdeutschen Landkreisen. Die immer schlechtere Lage samt neuen Mutationen des Virus torpediert aktuell die Bemühungen der AfD, die Maßnahmen gegen die Pandemie als übertriebene staatliche Bevormundung darzustellen.
Vor allem im Osten korrelieren hohe Umfragewerte der AfD und Corona-Inzidenzen auffällig – also auch dort, wo binnen Jahresfrist neue Landtage gewählt werden. In Thüringen konnte sich, trotz der offiziellen Auflösung des „Flügels“, das Höcke-Lager bei den letzten Vorstandswahlen durchsetzen. Totgesagte leben länger – das gilt wohl vor allem für Tote, die ihr eigenes Ableben nur vorgetäuscht haben wie der „Flügel“.
Trotz der schwierigen Lage will die AfD Corona aber weiter als Steilvorlage nutzen. Wegen der Pandemie wird die Briefwahl im Superwahljahr 2021 eine große Rolle spielen. Manche Bundesländer überlegen sogar, komplett per Brief wählen zu lassen. Und so agitiert die AfD etwa in Sachsen-Anhalt systematisch gegen Briefwahlen – das belegt ein Beitrag der ARD-Sendung Kontraste. Im Magdeburger Landtag sprach ein AfD-Abgeordneter von „perfiden Plänen der etablierten Parteien, um den größten Wahlbetrug dieses Landes im nächsten Jahr durchzuführen“. Co-Parteichef Tino Chrupalla sieht in der Briefwahl ein „Einfallstor für Manipulation“. Wem all das bekannt vorkommt, der hat in den vergangenen Monaten einfach nur oft Nachrichten geschaut. Die AfD kopiert in ihrer Verzweiflung den soeben aus dem Amt geschiedenen ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Das sagt aktuell einiges über ihren Zustand aus.