AfD-Politiker aus Ost und West, Identitäre und Wladimir-Putin-Fans zelebrieren bei einem Russland-Kongress in Magdeburg einen verstörenden Schulterschluss. Bericht von einer rechten Vereinbarkeitsmesse
Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 45/2023, Foto oben: Eva Kienholz
Elena Kolbasnikova spricht vor einem voll besetzten Auditorium in Magdeburg. Sie trägt einen grünen, militärisch anmutenden Hoodie, auf dem neben der russischen Trikolore das russische Wort für „Volksfront“ prangt. Kolbasnikovas Haare sind hellblond gefärbt, ihre Wangen gerötet, ihre Stimme bebt und bricht bisweilen, wenn sie das harte Los der Russen in der Ukraine beklagt. „Kinder werden von nazistischen Ukrainern vergewaltigt und ermordet!“ Auf einer Leinwand werden Fotos zerschossener Häuser eingeblendet, die Kolbasnikovas „Bericht aus dem Donbass“ untermalen – am Ende ein Foto von ihr mit der Aufschrift „Team Putin“.
Kolbasnikova, 48 Jahre, wohnhaft in Köln, ist die umtriebigste Pro-Kreml-Aktivistin Deutschlands. Sie hat Autokorsos und Aufmärsche organisiert, ist wegen Billigung des russischen Angriffskriegs verurteilt worden und hat vor einigen Wochen durch ein Dekret Wladimir Putins die russische Staatsbürgerschaft erhalten – geboren wurde Kolbasnikova in der Ukraine. Ihr Partner Rostislav Teslyuk ist ein ehemaliger russischer Luftwaffenoffizier, nennt sich in Deutschland „Max Schlund“ und hat zuletzt Besuch von der Polizei bekommen, weil er vor Freunden zu oft mit einer zu Hause gelagerten Kalaschnikow geprahlt haben soll. Teslyuk hat Kolbasnikova nach Magdeburg begleitet, er trägt identische militärisch-grüne Kleidung, filmt jedes ihrer Worte mit. Wie ein schneller Eingreiftrupp des Kreml treten die beiden auf – und das Publikum in Magdeburg klatscht laut Beifall.
Es ist ein illustrer Kreis, der an diesem 4. November zur Konferenz des Rechtsaußen-Magazins Compact in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts zusammengekommen ist. Offizielles Thema: „Frieden mit Russland“. Da sitzen AfD-Fraktionsvorsitzende neben Identitären, plaudern eigentlich geschasste AfD-Rechtsausleger gut gelaunt mit dem Wahlvolk, spricht ein regelmäßiger Gast des russischen Staatsfernsehens. Selten hat die AfD so offen mit Rechtsradikalen aller Couleur paktiert. Ihre „Unvereinbarkeitsliste“ ist endgültig Altpapier – abgelöst von offener neurechter Verbrüderung bei dieser Magdeburger Vereinbarkeitsmesse.
Einer der ersten Friedensbewegten am Rednerpult ist Oliver Kirchner, Fraktionsvorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt und damit eines Landesverbandes, dessen Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ vom Verfassungsschutz drei Tage nach dieser Konferenz öffentlich gemacht werden wird. Kirchner ist Oppositionsführer im Magdeburger Landtag. Der gelernte Kfz-Mechaniker und Autohändler tritt jovial bis hemdsärmelig auf, war laut seiner Stasi-Akte ein „negativ dekadenter Jugendlicher mit Neigung zur Gewalt“, der sich heute für AfDler einsetzt, die wegen ihrer politischen Haltung ausgegrenzt werden würden: „Ich merke, dass wir in eine Zeit geraten, wo ich mich wirklich an tiefste DDR-Zeiten erinnert fühle.“ Damals hätte er in der Schule „die Sprache seiner Besatzer“ nicht lernen wollen, heute bereue er es, nicht besser Russisch zu können. Seine Sympathien sind jedenfalls klar verteilt: Die Führung der Ukraine bezeichnet Kirchner als „Selenskyj-Regime“ und „korrupte Saubande“.
Abgesehen von diesem außenpolitischen Furor verkörpert Kirchner an diesem Tag in Magdeburg den volksnahen Lokalpolitiker, der Steuergelder „an unsere Bürger zurückgeben“ möchte – und „an niemand anderes auf dieser Welt“. Um Energie zu sparen, will er öffentlich-rechtliche Sender schließen und illegale Zuwanderer abschieben. Und das kommt richtig gut an in der Halle: Applaus. Mit aktuell 33 Prozent erhält die AfD in Sachsen-Anhalt die größte Zustimmung aller Parteien. Es gehört aber zu den Absurditäten dieses Tages, dass Kirchner, wie die meisten Redner, zwei Agenden zusammenbringt – Pro-Putin und Anti-Migration –, während der russische Präsident Migranten, von denen die meisten nach Deutschland weiterreisen wollen, über eine eigens eingerichtete Migrationsroute via Moskau und Minsk über die belarussisch-polnische Grenze bringen lässt.
Von weiter her kommt auch die zweite Rednerin der AfD, zumindest für deutsche Verhältnisse. Olga Petersen von der Hamburger AfD wird als Politikerin angekündigt, deren Parteifreunde ihren Auftritt bei dieser Konferenz verhindern wollten. Als die 41-Jährige in strengem Jackett und mit blonder Kurzhaarfrisur aufs Podium tritt, beschreibt sie sich als „Volksdeutsche aus Sibirien“, auf ihrem Facebook-Account als „stolze Deutsche aus Russland“. Zuletzt wurde sie von ihrem Landesvorstand abgemahnt, weil sie ohne Absprache im russischen Staatssender „Rossija-1“ den Verzicht der Bundesregierung auf russisches Gas kritisiert hatte. Auch in Magdeburg lässt sie kein gutes Haar an der deutschen Regierung, die sich in ihren Augen „zum Büttel Amerikas“ gemacht habe. Mit ihrer Hilfe für die Ukraine will die Bundesregierung laut Petersen „unsere Söhne an die Front schicken, wahrscheinlich in der geheimen Hoffnung, dass sie dieses Mal weiter als Stalingrad kommen“. Selbst bei solchen kruden Sätzen widerspricht niemand.
Ohnehin erscheinen alle öffentlich ausgetragenen Debatten der AfD rund um ihre angebliche Abgrenzung zu rechtsextremen Strukturen an diesem Tag nur noch absurd. Geschasste ehemalige Parteikader wie André Poggenburg sind wie selbstverständlich mit von der Partie. Der wegen diverser Ausfälle und Kontakte nach Rechtsaußen aus der Partei geschiedene ehemalige Landesvorsitzende weiß an diesem Tag oft eine Traube von Anhängern um sich zu scharen. Er ist es auch, der den „Bericht aus dem Donbass“ von Elena Kolbasnikova mit einer längeren eigenen Rede einleitet, womit er von der Bühne spricht, ohne im Programmheft genannt zu werden. Wer Poggenburg, der an diesem Tag oft ein verschmitztes Grinsen aufsetzt, beobachtet, kann erahnen, wie königlich er sich darüber amüsiert, offiziell aus der AfD herausgedrängt worden zu sein und de facto mittendrin zu hängen in dem rechtsextremen Netz, das um die Partei herum gewebt wird.
Gastgeber ist an diesem Tag in der Veranstaltungshalle „Halber 85“, das geht bisweilen etwas unter, Jürgen Elsässer, Compact-Herausgeber. Das liegt vor allem daran, dass er sich bei seiner langen Rede in seine These verbeißt, nach der die USA hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines steckten, laut Elsässer „das deutsche Nine Eleven!“. Nicht einmal die Ukrainer sind Elsässer als Täter genug, es müssen die USA sein, die seiner Meinung nach das Attentat den Ukrainern in die Schuhe schieben würden. Warum Washington seine Verbündeten in Kyiv verdächtigen sollte, verrät Elsässer nicht, ihm genügt der Hinweis, dass die USA traditionell ihre Bündnisgenossen hintergehen würden. Während aber die Liebe zu Putin und der Hass auf alles Fremde an diesem Tag in Magdeburg als emotionale Steckenpferde jedes Rennen gewinnen, reißt die angebliche US-Verschwörung gegen Metallröhren, die irgendwo in der Ostsee liegen, kaum jemanden von den Sitzen. Elsässer behilft sich mit einigen Wortspielen, „Sozi-Olaf“ wandelt bei ihm „auf den Spuren von Nazi-Adolf“. Seine Konferenz bezeichnet er als „Kriegsrat der Friedensbewegten“.
Friedensbewegt geben sich alle, wenn auch der Weg zu diesem hehren Ziel sehr interessante Gabelungen zu kennen scheint. Wladimir Sergijenko, als Experte für den Westen regelmäßiger Gast in den wichtigsten Talkshows im russischen Staatsfernsehen, spricht im Duktus des in Moskau üblichen Diskurses von der Gefahr eines Atomkriegs, an dessen Ende „ein riesiger Krater“ sein werde, wo jetzt noch Berlin ist. Sergijenko hat zuletzt für Aufsehen gesorgt, weil er als Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten einen Hausausweis für den Deutschen Bundestag besessen hat; namhafte deutsche Politiker forderten eine Überprüfung der Vergaberegeln solcher Ausweise. An diesem Tag transportiert er ohne jeden Ausweis die Todessehnsucht russischer Talkshow-Gäste ins beschauliche Magdeburg.
Interessant ist ein Blick auf den Büchertisch. Dort liegen neben Magazinen und Shirts mit dem Aufdruck „Wir sind frei“ oder „Sieg für Deutschland“ auch Kochbücher wie „Der Widerstand kocht! Schwurbler am Herd“ oder „Die 88 besten Fleischgerichte aus dem Reich“ von Tommy Frenck, einem der bekanntesten Neonazis aus Thüringen. Gegen das Mittagsmenü der Konferenz hätte Frenck vermutlich nichts einzuwenden: Neben Grünkohl und Salzkartoffeln werden Würstchen und Schweinebauch gereicht. Aus einem großen Kessel dampft der Borschtsch. Zumindest kulinarisch wird der Frieden mit Putins Russland besiegelt.
Für den Nachtisch sorgt dann Martin Sellner, Chef der Identitären Bewegung Österreichs, ideologischer Ziehsohn von Götz Kubitschek und an diesem Tag in Magdeburg der Junge unter den Alten. Nach der Mittagspause spricht er über die „Melonisierung des Abendlandes“, nimmt die Hinwendung einiger rechter Politiker zur NATO auseinander. Vor allem auf die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat es Sellner abgesehen, die als „rechte Transatlantikerin“ in seinen Augen zu wenig gegen die „Überflutung Europas“ tut. Das Vorfeld, womit Sellner sich selbst und andere politische Aktivisten meint, müsse die Politik deshalb antreiben, das Richtige zu tun. Er erzählt von Beispielen aus jüngster deutscher Vergangenheit, bei denen aktivistischer Widerstand Asylheime verhindert hätte. Sobald Meloni eine Seeblockade umsetze und wirklich Ernst mache mit ihrer angekündigten Migrationspolitik, würde er ihr „ein Sackerl Mozartkugeln“ schicken.
Sellner fordert in seiner Rede nicht nur ein „Ende des Bevölkerungsaustauschs“, sondern auch ein „Ende des deutschen Schuldkults“. Er werde „niemals die Schuldkult-Pille schlucken“. Und fügt hinzu: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher.“ Auch wenn Deutschland heutzutage ständig in fremde Kriege verwickelt werde, hätten diese Kriege und Krisen auch etwas Gutes: „Sie ermöglichen uns einen nationalen Durchbruch und einen geopolitischen Ausbruch.“ Sellner erläutert, warum er mit den „Altparteien“ partiell zusammenarbeiten würde, wenn diese „das Richtige“ tun, und zwar abschieben und die Grenzen sichern. Andere Redner dieses Tages geben sich weniger versöhnlich und schließen Kooperationen selbst mit der CDU aus, da die Partei nicht über den richtigen, rechten Wertekompass verfüge. Das neue Selbstbewusstsein der Rechten zeigt sich auf mehreren Ebenen. Sie gehen davon aus, schon bald den anderen ihre Bedingungen diktieren zu können.
Irgendwann in seiner Rede freut sich Martin Sellner, in Magdeburg zu sprechen, einer Stadt „ohne viel Antifa-Schmierereien, ohne linke Gegendemo“. Wer den Konferenzsaal verlässt, tritt tatsächlich auf eine Halberstädter Straße, an der sich niemand an der Veranstaltung zu stören scheint, auf der ein anderes Deutschland herbeidiskutiert wird. Einige Passanten gehen durch einen zugigen Herbsttag ihrer Wege, schräg gegenüber der Veranstaltungshalle bietet ein Laden Klamotten von Thor Steinar feil. 2019 haben an gleicher Stelle noch 300 Menschen gegen die Konferenz von Compact demonstriert. 2023 steht ein einsamer Polizeibus in der Einfahrt, aus dem heraus Polizisten gelangweilt ins Leere starren.