Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 10/2022, Collage oben: Eva Kienholz
In Halle an der Saale kreisen Tonbänder durch einen kleinen Raum mit großen Schaufenstern. „Deshalb taugt diese Kunst und Kultur auch so rein gar nichts“, ertönt eine Männerstimme mit rollendem R. „Sie ist nichts anderes als eine Lobdichtung auf das linke Menschenbild, eine fade Panegyrik, die selbst die unpolitischste Kunst überhaupt, die Musik, zur Posaune des linksliberalen Establishments degradiert.“ Die Stimme gehört Hans-Thomas Tillschneider, kulturpolitischer Sprecher der AfD Sachsen-Anhalt. Es folgen ähnlich gelagerte Kommentare, Attacken sowie Auszüge aus dem AfD-Wahlprogramm. Rein optisch hätte die raumfüllende Klanginstallation etwas Idyllisches, wären die Tonbänder nicht scharfen Messern ausgesetzt. So werden sie langsam abgeschabt, der Inhalt Stück für Stück ausradiert, Hass zu Staub gemacht.
„Seitdem schlafe ich wieder gut“, sagt Hans Rotman, als er von dieser Aktion des Berliner Elektrokünstlers und Komponisten Hainbach erzählt. Sie fand vergangenen Herbst im Rahmen des Impuls-Festivals für Neue Musik in Sachsen-Anhalt statt, das Rotman leitet. Seit Jahren wird das Festival von der AfD attackiert, die 2016 zum ersten Mal in den Landtag einzog – mit 24,3 Prozent der Stimmen. „Ich vermute“, meint Rotman, „dass der Bruch genau in diesem Jahr geschah. Da stellte ich das Jugendprojekt ‚Wind der Freiheit‘ mit Geflüchteten aus Syrien und Jugendlichen aus Magdeburg auf die Beine.“ Später hieß es von Seiten der AfD, diese jungen Leute würden von einem Intendanten „politisch verführt“ werden. Zudem bekam Rotman ab 2017 beleidigende Mails von Unbekannten und Briefe an seine Privatadresse, zweimal mit Platzpatronen und teilweise unterschrieben von einer „Gruppe Horst Mahler“.
Regelmäßig wird Kunst und Kultur, die sich kritisch mit Rassismus, Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus auseinandersetzt, von rechts attackiert. Mal sind es parlamentarische Anfragen der AfD, in denen gefordert wird, staatliche Finanzierungen zu kürzen oder ganz zu streichen, mal Landtagsreden, in denen gegen konkrete Theaterstücke gewettert wird, mal Mails und Briefe von Unbekannten, die beleidigen oder einschüchtern sollen. Doch immer mehr Kulturschaffende entwickeln Strategien, um sich dagegen zu wehren.
Die Klanginstallation in Halle wurde auch aus einem zweiten Grund initiiert: Dem Impuls-Festival hatte nach langer Kritik durch die AfD die CDU-geführte Landesregierung für 2021 die Förderung gestrichen. Als „Populismus light“ bezeichnet Rotman eine solche Entwicklung. Er erklärt: „Ein Großteil der Konservativen denkt, noch rechter sein zu müssen, um keine Stimme zu verlieren. Wenn Leute in der Mitte anfällig werden für das Rechtsextreme, dann besteht die Gefahr, dass unsere Demokratie ins Wanken gerät.“ Das Festival bekam nach Streichung der Förderung immense Unterstützung von Sponsoren – und konnte letztlich doch stattfinden.
Auch eine Form der Gegenwehr, die sogar dazu führte, dass das Land zumindest ein Zehntel der Fördersumme bereitstellte.
Torsten Wiegel, Vorsitzender des Landesverbandes Soziokultur Sachsen e. V., verfolgt schon lange den Kulturkampf der AfD in Ostdeutschland. Er diagnostiziert ein „Abhandenkommen von Selbstverständlichkeiten“ – und meint damit, dass allein schon das Wort „Demokratie“ in einigen ostdeutschen Regionen inzwischen als Kampfbegriff wahrgenommen werden würde. Als Beispiel nennt er die Kampagne „Kultur wählt Demokratie“, die sein Landesverband 2019 anlässlich anstehender Wahlen gestartet hat und die nicht überall gut ankam. „Wenn selbst das Eintreten für Demokratie schon als links klassifiziert wird, sollten wir als Zivilgesellschaft nicht nur sehr wachsam, sondern auch wehrhaft sein.“
Im kulturpolitischen Kampf zückt die AfD häufig die Waffe „Neutralitätsgebot“. In Anfragen und Landtagsreden wird angeprangert, dass sich staatlich geförderte Kultureinrichtungen und Kunstprojekte politisch nicht neutral verhalten würden. Das Absurde ist, dass es ein solches Gebot weder in der Bildung noch in der Kultur gibt. Die Neutralitätspflicht besteht nur für staatliche Organe. Staatlich geförderte Künstler und Kulturinstitutionen können sich aber frei ausdrücken. Dennoch zeigt die von der AfD immer wieder ins kulturpolitische Feld geführte Neutralitätsdebatte mitunter ihre Wirkung.
Ein Beispiel dafür aus Sachsen: Wegen Antifa-Aufklebern warf die AfD Mittelsachsen dem soziokulturellen Verein Treibhaus e. V. vor, er würde „linksextremistisches Gedankengut“ verbreiten und damit das Gebot zur politischen Neutralität verletzen. Die Vorwürfe der AfD führten dazu, dass der Kulturkonvent seine Förderung für 2020 zunächst zurückstellte und vom Verein „ein klares Bekenntnis zur Wahrung des Neutralitätsgebotes“ forderte. Nach Torsten Wiegel zeigt sich daran eine „Handlungsunsicherheit von Verwaltung und Kommunalpolitik“. Um sich besser gegen das von der AfD behauptete Neutralitätsgebot wehren zu können, fordert Wiegel eine sachliche Aufklärung über Begrifflichkeiten und Geltungsrahmen. „Wir brauchen diese Klärung in Sachsen sehr dringend.“
Bereits im Januar 2018 kündigte Marc Jongen, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, an: „Unser Ziel ist es, die Förderkriterien grundlegend zu untersuchen und die bisherige Förderung politisch korrekter Projekte herunterzufahren.“ Als Jongen im gleichen Monat zum fraktionsinternen Leiter des Arbeitskreises Kultur und Medien gewählt wurde, ließ er auf Twitter verlauten: „Es wird mir eine Ehre und Freude sein, dieses Amt auszuüben und die Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen.“
In Kampfansagen wie diesen sahen Kulturschaffende schon 2017 die Kunstfreiheit bedroht – und reagierten mit der Gründung des Vereins „Die Vielen“. Es ist ein Zusammenschluss von inzwischen über 4.500 Vertretern von Kultureinrichtungen und weiteren Aktiven in der Kunst- und Kulturszene. In regionalen Erklärungen positionieren sie sich öffentlich für Vielfalt und Toleranz und gegen Rassismus und Diskriminierung. Doch auch hier zeigt sich der Einfluss der AfD. Viele staatlich geförderte Institutionen seien sich unsicher gewesen, ob sie eine solche Erklärung überhaupt unterzeichnen dürften, erzählt Karoline Zinßer, die die Geschäftsstelle des Kulturbündnisses leitet. Viele begründeten ihre Befürchtung damit, politisch neutral sein zu müssen.
Um den Unterzeichnern den Rücken zu stärken, findet sich auf der Website der „Vielen“ die Rubrik „Fragen zum Neutralitätsgebot“. Sie bezieht sich auf eine gemeinsame Erklärung der Kultusminister der Länder von 2019. Sie schreiben: „Kultureinrichtungen ist die Möglichkeit zu sichern, sich zu gesellschaftlichen oder politischen Problemlagen zu äußern und auch kritisch Stellung zu beziehen. Dies ist durch Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt.“ In diesem Zusammenhang ist es Karoline Zinßer wichtig zu betonen: „Uns geht es darum, die ‚Vielen‘ nicht für kulturpolitische Zwecke zu benutzen. Wir sollten uns eher an einer demokratischen Wertebasis orientieren, unabhängig eines Links-Rechts-Denkens – und uns immer fragen: Wo werden Grenzen überschritten und wie können wir Angriffen auf Grundwerte mit einer klaren Haltung begegnen?“
Um zu zeigen, dass Angriffe von rechts keine Einzelfälle und erst recht nicht normal sind, läuft seit 2020 das Projekt „Dialoge Kunstfreiheit“. Über die Website der „Vielen“ werden politisch motivierte Übergriffe gegen Kunstschaffende und Kulturinstitutionen gesammelt, zusätzlich klärt das Projekt über Motivationen und Systematiken auf. „Es gibt Wochen, da sind ein bis zwei Fälle bei uns im Postfach“, erzählt Zinßer. „Von manchen Fällen haben wir auch über Medien erfahren und dann die Betroffenen angeschrieben.“ Bislang umfasst die Chronik, die der Autor und Theaterkritiker Peter Laudenbach in Zusammenarbeit mit den „Vielen“ erstellt hat, etwa hundert Vorfälle seit November 2016 – dazu gehören Brandanschläge auf Jugendzentren, Störungen von Theatervorstellungen oder Morddrohungen, etwa gegen den Pianisten Igor Levit. Von Worten bis Taten, von Subkultur bis Hochkultur.
Auch Judith Blumberg, die am Badischen Staatstheater in Karlsruhe als Agentin für Diversität arbeitet, kommt in der Chronik der „Vielen“ vor. Grund dafür war ein Artikel auf dem Blog Politically Incorrect News vom Oktober 2019. Dieser war groß betitelt mit: „Agentin Judith sorgt für Umvolkungs-Theater“ – dazu ein Foto von ihr. Blumberg erfuhr davon, als ein ihr Fremder sie über ihren Facebook-Account mit Verweis auf den Artikel beschimpfte. Noch schlimmer aber waren die Kommentare, die der Artikel binnen weniger Stunden nach sich zog. „Damals spürte ich einen krassen Kontrollverlust“, erzählt sie heute. Um sich dagegen zu wehren, habe sie alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft, auch mithilfe von Hate Aid, einer Beratungsstelle für Menschen, die im Netz angefeindet werden. „Am Ende konnte ich immerhin durch eine Anzeige bei Google bewirken, dass der Artikel nicht auftaucht, wenn man nach meinem Namen sucht.“
Blumberg erzählt noch von einem anderen Fall vom Juni 2019. Da wollte die AfD im baden-württembergischen Landtag in einer Kleinen Anfrage wissen, welche Staatsangehörigkeiten die Künstlerinnen und Künstler der staatlichen Theater und Opernhäuser hätten. Diese Anfrage sorgte für viel Wirbel, selbst die New York Times berichtete darüber. Das Badische Staatstheater in Karlsruhe reagierte mit einem Facebook-Post: „Wir sind stolz auf unsere Mitarbeiter*innen aus 46 Nationen! Vielfalt ist für uns Verpflichtung und Vergnügen.“ Für Blumberg bildet diese Haltung genau den Fokus ihrer Arbeit als Diversitätsbeauftragte ab: „Es geht nicht darum, immer nach rechts zu schielen, sondern das, was an Pluralität und Vielfalt da ist, zu fördern.“
Um über rassistische und rechtsextreme Vorfälle am Theater zu berichten, nahm Blumberg im Februar 2020 als Diskutantin an der Konferenz „Antifaschismus als Minimalkonsens“ teil. Kuratiert wurde sie von Jens Geiger im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe „Rechtsradikale Realitäten in Deutschland“. Dazu sagt Geiger: „Für viele hätte es sich sicher besser angefühlt, das Ganze ‚Demokratie als Minimalkonsens‘ oder ‚Diversität als Minimalkonsens‘ zu nennen. Natürlich triggert der Begriff ‚Antifaschismus‘ mit seiner ganzen ambivalenten Geschichte bestimmte Kreise.“ Und genau das sei Teil des Konzepts gewesen: „große Institutionen zu einer Positionierung zu ermutigen“. Eine Bedrohung der Kunstfreiheit sieht Geiger dort, wo Kultureinrichtungen eine klare Haltung zur neurechten Ideologie fehlt.
Über ein breites Netzwerk im neurechten Lager verfügt die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung. Sie spielt auch im Kulturkampf von rechts eine wichtige Rolle. Seit ihrer Gründung 2017 fielen ihre Akteure immer wieder wegen rassistischer und antisemitischer Äußerungen auf. Erika Steinbach, die Vorsitzende der Stiftung, unterstreicht ihre Kommentare auf Twitter gerne mit zwei großen roten Ausrufezeichen, etwa wenn sie schreibt: „‚Flüchtende?‘ Nein, das sind gewalttätige Invasoren!!“
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, wurde erstmals durch einen Tweet von Max Otte hellhörig, der damals im Kuratorium der Stiftung saß. „Werden die medial völlig verzerrt dargestellten Vorfälle von #Chemnitz zum neuen #Reichstagsbrand, zum Auftakt der offiziellen Verfolgung politisch Andersdenkender?“, schrieb Otte 2018. Direkt darauf wandte sich Mendel mit einem Offenen Brief an den damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer: „Wir wehren uns entschieden dagegen, dass aus Steuergeldern eine Stiftung finanziert wird, die ein Geschichtsbild proklamiert, das NS-Verbrechen verharmlost.“
Lange habe es kein Bewusstsein dafür gegeben, wie gefährlich die Stiftung ist, sagt Mendel. Das änderte sich spätestens dann, als die AfD im Herbst 2021 zum zweiten Mal in den Bundestag gewählt wurde. Denn so wie andere parteinahe Stiftungen will die Desiderius-Erasmus-Stiftung nun Fördermittel vom Bund in Millionenhöhe erhalten. Als „Katastrophe mit Ansage“ bezeichnet Mendel diese Entwicklung. Bereits im Frühjahr 2021 erarbeitete die Bildungsstätte Anne Frank gemeinsam mit dem Grünen-Politiker Volker Beck Eckpunkte für ein „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“, das als ein Kriterium den aktiven Einsatz politischer Stiftungen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung setzt. „Wir brauchen dringend ein Stiftungsgesetz“, meint Mendel, „damit unsere Demokratie keine Demokratiefeinde mit Steuergeld alimentieren muss“.
Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek, dessen „Institut für Staatspolitik“ Verbindungen zur Desiderius-Erasmus-Stiftung hat, weiß um den Nutzen solcher Steuergelder. In seinem Podcast Kanal Schnellroda erzählt er, dass die AfD es „als eine ihrer Aufgaben versteht“, „Steuergeld so umzuleiten“, dass die „Vorfeldarbeit“ gestärkt wird. Als Beispiel nennt Kubitschek den patriotischen Solifonds des neurechten Netzwerks Ein Prozent. Dieser müsse „unbedingt von den Mandatsträgern, die von Steuergeldern leben, und zwar gut leben, unterstützt werden“. Das bedeutet für ihn, „dass es zu einer inneren Verpflichtung kommt, dass jeder Bundestagsabgeordnete, der auf unserer Seite steht, oder jeder Landtagsabgeordnete hier mit hundert Euro pro Monat einsteigt oder sonst irgendetwas macht“.
Kubitschek gibt nicht nur Handlungsempfehlungen für die AfD, sondern ist auch Verleger des Antaios-Verlags, über dessen Webshop alle möglichen Bücher bestellt werden können – auch solche fernab des rechten Spektrums. Dem Klett-Kinderbuch-Verlag war die Listung seines Buchs Alle Kinder. Ein ABC der Schadenfreude im Onlineshop von Antaios schon länger ein Dorn im Auge. Im Herbst fand der Verlag eine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Er spendete die doppelte Summe des Erlöses aus Antaios-Verkäufen an die Buchhandlung Leporello in Berlin. Diese war in den vergangenen Jahren mehrfach Ziel von rechtsextremen Angriffen geworden, nachdem sich ihr Inhaber Heinz Ostermann öffentlich gegen rechts positioniert hatte. Ostermann freute sich über die Spende und entwarf mit der Illustratorin des Kinderbuches eine Postkarte. Darauf abgebildet sind sieben Kinder, die sich auf einer Wiese an den Händen halten. Neben ihnen steht ein kreischender Mann in einem braunen Anzug, der wild eine Deutschland-Fahne schenkt und Björn Höcke sehr ähnelt. Unter dem Bild hat Ostermann folgenden Begleitspruch formuliert: „Alle Kinder wollen Frieden. Außer Björn – der will stör’n.“
Auch wenn Kulturschaffende immer mehr Strategien gegen Angriffe von rechts entwickeln, stehen doch manche vor einer ungewissen Zukunft. Das Impuls-Festival in Sachsen-Anhalt will es zumindest nicht hinnehmen, dass sich der Staat aus der Finanzierung zurückzieht und hat auch für dieses Jahr einen Antrag auf Förderung gestellt. Eine Entscheidung wird im Frühjahr gefällt. Mit wütendem Widerstand der AfD ist wieder zu rechnen.