Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 30/2024, Foto oben: Eva Kienholz
Eigentlich wollte Jürgen Elsässer auf seiner „Blauen Welle“ in den Herbst rollen. Vielleicht sollte sie ihn und die AfD sogar bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr tragen. Der Gründer und Chefredakteur des nun verbotenen Compact-Magazins unterstützte die AfD mit „oppositionellen Volksfesten“ für die bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland – auch wenn er das so nicht direkt sagte. Hinter der rhetorischen Distanz steckte wohl die Befürchtung der Parteispitze, von Elsässers Welle direkt in einen neuen Spendenskandal gespült zu werden. Einige AfDler teilten diese Sorge aber nicht, wie der Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt, Oliver Kirchner, der für Compact „seine besten Songs“ auspackte. Sowieso legte Elsässer bei seinen Festen viel Wert auf Musik, buchte Björn Winter alias Björn Banane, der mit seinen Ballermann-Liedern wie Die Ampel muss weg oder Ungeimpft schon bei Querdenker-Demos performt hatte.
Seitdem Compact vom Bundesinnenministerium verboten wurde, zeigt sich die völkisch-nationalistische Szene bestürzt. Manche, wie Brandenburgs AfD-Spitzenkandidat Christoph Bernd, der Nancy Faeser als „Antifa-Ministerin“ betitelt hat, oder Anna Leisten von der Jungen Alternative trafen sich am Tag der Razzia zu einer kleinen Soli-Demo vor Elsässers Haus und Redaktionssitz im brandenburgischen Falkensee. In den Händen hielten sie einen Bleistift als „Zeichen des Widerstands“ – auf die Idee war der österreichische Identitäre Martin Sellner gekommen, der bei Compact eine eigene Kolumne hatte und im dazugehörigen Youtube-Kanal schon vor dem Potsdamer Treffen seine Gedanken zur „Remigration“ kundtun durfte. Nun feilt er an einer großen Soli-Kampagne für Elsässer. „Kommt ran“, schrieb Sellner auf seinem Telegram-Kanal, „gebt einem Helden des Widerstands die Hand!“
Dieser „Held“ hat einen langen Weg hinter sich. Er begann ganz links. Elsässer, geboren 1957 im badischen Pforzheim, bezeichnete sich einst als Kommunisten und schrieb für linke Zeitungen, bis er plötzlich einen Sprung nach ganz rechts vollzog. Im Jahr 2010 erschien die erste Ausgabe von Compact, das bald bei jedem Protest mitmischen sollte, der auch nur einen Hauch nach Aufstand von rechts roch. Erst war es Pegida, dann die „Querdenker“ während der Coronapandemie, zuletzt die Bauernproteste – und immer unterstützte Elsässer die AfD, insbesondere den völkischen Flügel um Björn Höcke.
Gerade in Höcke setzte Elsässer viel Hoffnung. In der Januar-Ausgabe von Compact ließ Elsässer den Thüringer AfD-Chef sein Programm für die ersten 100 Tage als Ministerpräsident skizzieren. Er selbst schrieb einen hingebungsvollen Text über Höcke, der weit über Thüringen hinaus zum „Gesicht des Ostens“ geworden sei. Dass sein Landesverband die besten Umfrageergebnisse der AfD einfahre, würde „die Geschichtsmächtigkeit eines Einzelnen“ beweisen. Höcke könne „alle Sehnsüchte der Deutschen bündeln, wenn man ihn denn lässt“.
Um den AfD-Rechtsaußen noch mehr zu würdigen, ließ Elsässer einen Höcke-Taler anfertigen. Eine halbe Unze Silber mit eingraviertem Konterfei, die im Onlineshop von Compact zuletzt für 74,95 Euro feilgeboten wurde. Dieser Höcke-Taler sei ein „patriotisches Bekenntnis – und eine stabile Kapitalanlage“. Allerdings ist dieser Taler nach aktuellem Kurs gerade mal 14 Euro wert. Noch im vergangenen Jahr träumte Elsässer von einem „Deutschen Demokratischen Reich“ (DDR) in Ostdeutschland. Dabei wünschte er sich Höcke als „Reichskanzler“.
Natürlich sprang Höcke dem Ex-Chefredakteur nun in schwerer Stunde bei. Auf seinen Kanälen schrieb er von „Faesers Anschlag auf die Pressefreiheit“ und lobte Elsässer nicht nur dafür, dass er „die Wagenburgmentalität einer ‚revolutionären‘ Gemeinschaft in das rechte Lager mitgebracht“ habe, sondern betonte auch, dass für Elsässer der „Zusammenhalt des eigenen Lagers“ im Vordergrund stehen würde. Wenn etwa ein Aktivist wegen seines politischen Engagements seine Stelle verlor, hätte Elsässer demjenigen ein neues Auskommen zu verschaffen versucht. Tatsächlich: Als das Hausprojekt der Identitären Bewegung in Halle scheiterte, bot er einem der führenden Aktivisten, dem mehrfach vorbestraften Neonazi Mario Müller, einen Job als Redakteur bei Compact an. Heute arbeitet Müller als Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt.
Mit Compact wollte Elsässer vor allem eins: provozieren und damit maximale Aufmerksamkeit generieren. Die Aufmacher seiner Hefte hießen gerne mal „Diktatur Merkel“, „Freiwild Frau“, „Weltkrieg gegen Putin“ oder „Habeck in den Knast“. Als „Verbrecher an der Macht“ wurden Gesundheitsminister Karl Lauterbach, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang abgebildet. Mit solchen Aufmachern hatte Elsässer sein Monatsmagazin in den vergangenen Jahren zum zentralen Sprachrohr für Rechtsextremisten, Putinfans und Verschwörungsgläubige ausgebaut, mit einer verkauften Auflage von angeblich 40.000 Exemplaren pro Ausgabe. Seinen Youtube-Kanal Compact-TV hatten zuletzt 345.000 Leute abonniert. „Wir wollen dieses Regime stürzen“, verkündete Chefredakteur Elsässer im vergangenen Jahr auf der Website des Hefts.
Regelmäßig veranstaltete Compact Konferenzen für „Souveränität“ und „Frieden“, bei denen der Westen, allen voran die USA, als teuflische Macht abgestempelt wurde, während Russland mit seinem Präsidenten Wladimir Putin als „Gegenpol zur Dekadenz des Westens“ galt. Selbst nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ließ Elsässer beim Sommerfest des Magazins im vergangenen Jahr verlauten: „Ich bin kein Putin-Versteher, sondern ich bin ein Putin-Unterstützer.“ Im Onlineshop gab es eine Druschba-Medaille für „Frieden und die deutsch-russische Freundschaft“.
Seitdem Compact verboten wurde, sind weder die Website noch der Youtube-Kanal aufrufbar. Ob das Verbot aber juristisch Bestand haben wird, müssen bald die Gerichte beantworten. Viele Experten bezweifeln, dass das über das Vereinsrecht erfolgte Verbot wasserdicht ist. Elsässer selbst reaktivierte schon kurz nach der Razzia seinen Account bei X. Er schrieb: „(…) jetzt, nach dem Compact-Verbot, geht es hier richtig los!! Venceremos!! Die Schweine von heute sind die Schinken von morgen!“
Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek widmete Compact auf Sezession im Netz einen Text und schrieb von einem „Akt der Willkür“. Compact sei „selbst nach objektiven Kriterien“ keine Zeitschrift, die als verfassungsfeindlich eingestuft werden dürfte. Aber selbst dann „müßte sie ihre Tätigkeit fortsetzen können dürfen“. Am Ende merkte Kubitschek an, dass es auch seinen Verlag Antaios und die Zeitschrift Sezession hätte treffen können. Erst im Mai 2024 hatte Kubitschek die Auflösung seines Instituts für Staatspolitik öffentlich gemacht. Sie war wohl vor allem ein taktischer Zug, um einem Vereinsverbot zuvorzukommen, das auch – wie nun im Fall von Compact – Nachfolgeorganisationen untersagen würde. Bereits vor der Auflösung hat Kubitschek eine neue Unternehmergesellschaft gegründet.
Kubitschek und Elsässer verbindet viel: 2015 gründeten sie das Kampagnennetzwerk Ein Prozent, das rechte Initiativen unterstützt, sowohl organisatorisch als auch finanziell. Die Idee hinter dem Verein: Nur ein Prozent der Deutschen würde reichen, um eine wirkungsvolle Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Der Chef von Ein Prozent, Philip Stein, gab direkt nach der Razzia bei Elsässer seinen Senf dazu. Nancy Faeser habe der „patriotischen Opposition“ vor den Wahlen im Osten den Kampf angesagt. „Was sie ernten wird, das sind noch stärkere Wahlergebnisse der AfD und noch stärkerer Zusammenhalt im Vorfeld“.
Für den letzten Samstag im Juli hatte Compact, lange vor dem Verbot, ein großes Sommerfest angekündigt. Auf dem Rittergut Nöbeditz in Sachsen-Anhalt, das dem ehemaligen AfD-Politiker André Poggenburg gehört, sollten Martin Sellner und der in Skandale gehüllte AfD-Mann Maximilian Krah sprechen. Sellner schrieb nach der Razzia: „Wir lassen uns das Feiern sicher nicht verbieten!“ Elsässer selbst benannte seine Feier kurzerhand um – in „Fest für die Pressefreiheit“. So leicht wie für Kubitschek wird das Weiterfeiern für ihn aber nicht. Elsässers Schicksal liegt jetzt vor Gericht.