Beim Wahlkampfauftakt in Cottbus gibt sich die AfD geeint, aber Meuthen verschwindet schnell
Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 29/2019, Foto oben: Thomas Vorreyer
So langweilig, so langweilig“, murmelt ein kleiner Junge auf dem AfD-Volksfest in Cottbus vor sich hin, während er barfuß seinen Roller antritt. Aber so langweilig ist dieser Wahlkampfauftakt der AfD für die drei Landtagswahlen im Osten nicht. Er zeigt nämlich, dass der Machtkampf innerhalb der Partei schon vorentschieden ist.
Das Volksfest, das sowohl mit Parteichef Jörg Meuthen als auch mit Rechtsaußen Björn Höcke als Redner wirbt, wird zu jeder Seite von Hausfassaden begrenzt, von denen die Losung „Cottbus ist bunt“ prangt – die Stadt wehrt sich gegen ihr braunes Image. Auf der kleinen kastenförmigen Bühne mahnt Meuthen zur Geschlossenheit: „Wir lassen uns nicht spalten!“ Ihm hören etwa 700 Menschen zu – eher älter, eher männlich, sonst nicht weiter auffällig, der normale AfD-Wähler eben.
Zwischen dem maßvollen Herrn Meuthen mit seinen Zuhörern und den bunten Hausfassaden haben sich derweil noch die anderen Anhänger positioniert, eine Art radikaler Ring: glatzköpfige Stiernacken, die von kundigen Beobachtern als Energie-Cottbus-Hooligans erkannt werden, Vertreter rechtsextremer Vereine wie „Zukunft Heimat“, die Würstchen braten, ein Mann im Shirt der Nazi-Band „Legion Ost“ oder ein breitschultriger Glatzkopf, dessen Hakenkreuz-Tattoo auf dem Arm notdürftig mit Filzstift übermalt ist. Viel Applaus hat dieser äußere Ring für Meuthen nicht übrig. Ihr Mann kommt erst später.
„So eine Scheiße habe ich noch nie erlebt. Hier sterben Menschen, werden umgebracht!“, schreit in der Menge ein Rollstuhlfahrer aufgebracht in eine Kamera. An seinem Rollstuhl hängt eine Deutschlandfahne. Plötzlich eilt ein Mann mit abrasiertem Haar herbei. Massig, am Arm prangt eine weiße Armbinde mit der Aufschrift „Ordner“. „Es gibt viele Aasgeier unter den Presseleuten“, flüstert er dem Schreihals zu und fordert ihn auf, sich im Ton zu mäßigen. „Aber ich wähle doch die AfD“, stammelt der Rollstuhlfahrer. „Ich liebe die Partei!“ Trotzdem wird er zur Ruhe ermahnt. So kurz vor den Wahlen in Brandenburg und Sachsen will die AfD möglichst zurechnungsfähig wirken. Das fällt allerdings nicht immer leicht, was vielleicht auch an Anhängern wie den beiden liegt, die beim Wahlkampfauftakt mit einem meterhohen Plakat durch die Menge waten, auf dem steht: „Deutsche, wehrt & vermehrt euch!“
Der jüngste Machtkampf in der AfD zwischen dem radikalen Flügel um Björn Höcke und den „gemäßigten“ Funktionären um Meuthen zeigt, wie mächtig der „Flügel“ geworden ist. Ein Aufruf aus der Partei gegen den thüringischen Landeschef verhallte kaum gehört. Formell haben andere das Sagen, aber wer Höcke und Meuthen in Cottbus sieht, erlebt eine Zeitenwende.
Doch bevor der Headliner aus Thüringen ankommt, bemühen sich die anderen Redner um die Gunst der Zuhörer. Meuthen singt eine Lobeshymne auf den italienischen Rechtsstaat samt Innenminister Matteo Salvini: „Das sind die wahren Retter“, und nicht etwa Carola Rackete, die „Sea-Watch-3-Schlepperin“. Sachsens AfD-Chef Jörg Urban prangert in monotonem Duktus den Kampf der „Altparteien“ gegen die AfD an und beschließt seine schlappe Rede mit den Worten: „Holen wir uns unser Land zurück.“ Andreas Kalbitz solidarisiert sich mit den Kumpeln der Lausitz und beschwört: „Wir treten nicht als Protestpartei an. Wir treten als sachpolitische Lösungspartei an, in allen Bereichen.“ Mit dem Erfolg der AfD im September würden sie die Wende vollenden. „Wende 2.0“ nennt die AfD das.
Messias Höcke
Als eine Gruppe von Jugendlichen mit Regenbogenfahne vor dem Stand der Jungen Alternative (JA) erscheint, tritt ein Mann vor, gut gebügeltes Hemd, gescheiteltes Haar. Er heißt Franz Dusatko. Er grinst. Mit seinen 28 Jahren ist er sowohl Vize-Landeschef der JA als auch Assistent von Kalbitz, der heute als brandenburgischer AfD-Landeschef in Cottbus auftritt, bis 2015 war er Vorsitzender einer Vereinigung, die vom ehemaligen SS-Hauptsturmführer und NPD-Funktionär Waldemar Schütz gegründet wurde. Auch Kalbitz gehört dem völkischen Flügel der AfD an.
„Warum provoziert ihr mit eurer Flagge?“, fragt Dusatko, demonstrativ stellt er sich zu den Gegendemonstranten. Es entsteht ein Gespräch über Geflüchtete, in dem Dusatko seinen Opponenten irgendwann brüsk fragt: „Und die Menschen willst du alle hier aufnehmen, oder wie?“ Der linksalternative junge Mann bejaht. „Für mich ist es wichtig, mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen und zu beweisen, dass wir keine Nazis sind“, erklärt Dusatko später. Dieser Wille geht so weit, dass er mit den Jugendlichen zum Anti-AfD-Protestfest geht, das zeitgleich im nahen Puschkinpark stattfindet. Dort ergreift er Partei für Höcke, als das Gespräch auf das Holocaust-Mahnmal kommt, das Höcke 2017 als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte. „Es geht Höcke nicht darum, Vergangenheit zu vergessen, sondern aus dem Schuldkult herauszutreten“, meint Dusatko. Nun mischt sich ein alter Mann in die Konversation der Jungen ein: „Keine Partei kann sich vor Nazis hüten.“ Er ist 82, müsste also wissen, wovon er spricht.
Als es um Dusatkos Vergangenheit bei der Identitären Bewegung (IB) geht, wird der junge AfDler plötzlich kleinlaut. Er hatte sich an einer Blockade-Aktion der IB gegen die CDU-Zentrale in Berlin beteiligt. Das war im Dezember 2016. Heute möchte Dusatko von seiner identitären Vergangenheit nichts mehr wissen. „Wenn man bei der AfD ist, entscheidet man sich gegen die IB“, sagt er. Vielleicht hängt seine Läuterung ja damit zusammen, dass die IB vom Verfassungsschutz wenige Tage zuvor als rechtsextrem eingestuft wurde. Beim Gegenfest versammeln sich übrigens etwa 500 Menschen, nur unwesentlich weniger als bei der AfD. Ein Grund dürfte sein, dass die Besucher dort überwiegend aus Cottbus kommen, während die AfD für diesen Tag in drei Bundesländern mobilisiert hat.
Zurück beim AfD-Volksfest. Da spazieren Trump und Putin auf dem Shirt eines 16-Jährigen: „Ich bin nicht bei der Jungen Alternative, aber ich finde die schon gut.“ Er ist mit seinem Vater unterwegs, der aber den Sohn sprechen lässt, weil der besser reden könne. Der Sohn erklärt, beide seien aus politischer Überzeugung hier. Das, was die AfD voraussage, wäre bisher immer eingetroffen. „Wir sollen das reiche Gelobte Land sein? Dann kann es aber nicht sein, dass wir arbeiten und immer nur die Last davon tragen.“ Der Vater nickt, wirkt stolz. Auch die nächste Generation wird fleißig im Wutbürgermodus herangezüchtet. Und diese Wut wird an diesem Tag besonders von Höcke angestachelt. Er spricht so klar, dass seine Worte wirklich bei jedem AfD-Sympathisanten ankommen. Und wenn Worte nicht reichen, hat Höcke auch noch eine Flasche „Fürst von Metternich“-Sekt dabei: „Für den brandenburgischen Innenminister!“, ruft er. Um dann einen seiner Mitarbeiter kokett zu fragen: „Wie heißt der noch mal?“ Das Publikum johlt. „Höcke, Höcke“, skandieren die Anhänger, sie schwingen dabei ihre Deutschlandfahnen. Besonders beim pathetischen Schlusswort, in dem Höcke auch noch Trump zitiert. „Machen wir Deutschland wieder großartig!“, ruft er, und später: „Lassen wir hier mit einer friedlichen Revolution an der Wahlurne die politische Sonne im Osten wieder aufgehen!“
Gauland auf dem Jutebeutel
Wie Höcke sich mit erhobenen Armen feiern lässt, scheint er sich in seinem Messias-Modus seiner Sache schon sehr sicher. Und das kann er an diesem Tag auch sein, denn Meuthen lässt ihm nicht nur den Platz als Hauptredner, sondern reist auch noch vor Höckes Rede ab. Er ist also schon weg, als dieser und die beiden anderen Landeschefs sich feiern lassen. Der Osten ist das Kraftzentrum der AfD, und Höcke dominiert. Bezeichnend für den schleichenden Machtwechsel ist am Tag darauf Meuthens Niederlage im eigenen Kreisverband Ortenau. Der schickt als Delegierte nun Politiker zum AfD-Bundesparteitag im November, die Höcke nahestehen.
Der Flügel beeinflusst immer mehr Landesverbände im Westen, wodurch die AfD immer weiter nach rechts driftet. Fraktionschef Alexander Gauland wird diesen Trend nicht stoppen. Beim diesjährigen „Kyffhäuser-Treffen“ mahnte er zur Mäßigung. Was am Ende von dem Treffen blieb, war aber Höckes Kampfansage an den Parteivorstand. So wie in Cottbus an diesem Tag auch Höcke mit seiner beifallheischenden Inszenierung erinnert werden wird. An Gauland erinnert nur ein Jutebeutel mit seinem Konterfei. Und echter Vogelschiss, der, anscheinend unbemerkt, am Ohr eines Besuchers des AfD-Volksfestes klebt.