Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 19/2024, Foto oben: Eva Kienholz
Mit heiserer Stimme befeuert eine junge Frau den Demozug: „Die ganze Nation – will Remigration!“ Demonstrierende brüllen es ihr nach, dann: „Abschieben, abschieben!“ Es sind Szenen aus dem Herbst 2023 in Erfurt. Unter dem Motto „Der Osten steht zusammen“ haben sich ostdeutsche Landesverbände der AfD zur Demo versammelt. Neben prominenten Funktionären wie dem thüringischen Landesvorsitzenden der AfD, Björn Höcke, hat auch die Parteijugend aus dem Osten mobilgemacht. „Deutsche Jugend fordert Remigration“ steht auf einem ihrer Transparente, „Junge Alternative“ auf einem anderen, daneben ihr Logo: eine lodernde Flamme. Es braucht nicht viel Fantasie, um eine Ähnlichkeit mit den flammenden Logos inzwischen verbotener Gruppierungen wie der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ zu sehen.
Die junge Frau mit der heiseren Stimme heißt Anna Leisten. Sie ist Vorsitzende der Jungen Alternative (JA) Brandenburg und einzige Frau im Bundesvorstand der Parteijugend. Auf ihrem Instagram-Account präsentiert sie ihre Facetten, „von der bezopften Süßmaus bis zur eisernen Soldatin“. Mal zeigt sie sich zu Fasching als Mäuschen verkleidet oder mit Blumenkranz im Haar, mal tritt sie einen Boxsack. Vielleicht meint Leisten, sich als Frau unter den hart gescheitelten Männern ihres Schlages besonders behaupten zu müssen, jedenfalls zählt sie zu den umtriebigsten Jungfunktionären der AfD. 2023 wurde sie von ihrem Landesverband abgemahnt, weil sie ein Handzeichen aus einem Kreis aus Zeigefinger und Daumen und drei abgespreizten Fingern stolz in die Kamera hielt: Früher ging das als Okay-Zeichen durch, heute wird es am rechten Rand als „White-Power-Geste“ verwendet.
Seit ihrer Gründung trat die JA stets radikaler auf als ihre Mutterpartei. Sie kooperierte mit putintreuen Jungpolitikern, suchte die Nähe zu rechten Burschenschaften, aus denen sie Kader rekrutierte, oder zu völkisch-nationalistischen Gruppierungen wie der „Identitären Bewegung“ – die auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. Je weiter aber die Mutterpartei nach rechts driftet, desto näher rückt sie ihrem Nachwuchs. Seit die gesamte JA im April 2023 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wurde, ist in der AfD ein neuer Streit über den Umgang mit der JA entbrannt. Manche Funktionäre würden sich am liebsten distanzieren, weil sie Sorge haben, der Gesamtpartei könnte das gleiche Schicksal widerfahren. Aber es gibt auch AfD-Kader, die von Distanz nichts wissen wollen. Björn Höcke etwa sagte im Februar 2024: „Alles, was in Richtung Abspaltung der JA geht, wird von mir den entschlossensten Widerstand erleben. (…) Keinen Jota zurückweichen, das muss unsere klare Verortung sein.“ Die „unbedingte Solidarität“ zur JA, von der Höcke sprach, dürfte Anna Leisten gefallen haben. Auch andere JA-Mitglieder haben in der Vergangenheit bewiesen, wie sehr sie sich mit Höcke verbunden fühlen: Anfang 2020 hatte die JA Altmark in Sachsen-Anhalt ein Foto auf Facebook gestellt, das die AfD-Jugend zusammen mit Höcke und Andreas Kalbitz zeigte. Darunter bezeichnete sich die JA als „bekennende Höckejugend“ – eine klare Anlehnung an die Hitlerjugend des „Dritten Reiches“.
Als ihre bevorzugte Kampfzone wählte die JA schon früh die sozialen Medien, wo sie sich durch professionelle Promo-Videos größer geben kann als sie in Wirklichkeit ist. Laut ihrer Website zählt die JA rund 2.500 „aktive Mitstreiter“ im Alter von 14 bis 36 Jahren. Bei Facebook hat die JA knapp 24.000 Follower. Diese Reichweite nutzt sie, um völkische Salven abzufeuern: „Echte deutsche Jugendliche sind rechts!“ Weiter versucht der AfD-Nachwuchs auf Instagram, junge Menschen auf seine Seite zu lotsen: „Hör nicht auf Lehrer und Influencer, die Dir einreden wollen, dass die AfD der Teufel der Nation ist. Informiere Dich selbst und höre auch alternativen Medien zu. Und vor allem: Lass dir auf dem Schulhof oder auf dem Campus nichts sagen. Du bist Deutscher und darfst darauf auch stolz sein.“ Etwa 3.000 Leuten gefällt das.
Das Hauptziel der JA ist, eine Gegenöffentlichkeit zu etablieren. Dafür steht sie in engem Kontakt mit anderen neurechten Akteuren, die sie als „politisches Vorfeld“ bezeichnet. Im Herbst 2022 twitterte die JA: „Als Parteijugend des Widerstands sind wir Teil eines größeren Mosaiks!“ Mit dem Begriff „Mosaik-Rechte“ – ein Rückgriff auf die „Mosaik-Linke“ des Gewerkschafters Hans-Jürgen Urban – will die Neue Rechte ein breites Bündnis aufbauen, das letztlich die AfD stärken soll. Aus diesem Grund versteht Anna Leisten die JA „als Teil einer großen patriotischen Bewegung“. Es sei wichtig zu erkennen, schreibt sie auf Instagram, „das (sic) politische Veränderung, gerade in Kriesenzeiten (sic), primär auf den Straßen und nicht in Parlamenten stattfindet“. Deshalb müssten Partei und Vorfeld zusammenarbeiten. Genau das propagiert auch Höcke: „Ohne dieses Vorfeld sind wir nichts und werden nicht durchbrechen.“
Als im Januar 2024 Correctiv einen Bericht veröffentlichte, nach dem sich im November 2023 Rechtsextremisten, AfD-Politiker und Unternehmer in einer Villa bei Potsdam getroffen hatten, um über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland zu sprechen, versahen Kader der JA ihre Profilbilder mit der Aufschrift „Team #Remigration“. Der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich, der sich in internen Chats als das „freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet hatte, war besonders eifrig. Auf seiner Website bezeichnet er Remigration als „Vision für ein besseres Deutschland“. Von der JA wird er gar als „künftiger Remigrationsminister“ gefeiert.
Während bei der AfD zumindest einige halbgare taktische Distanzierungen zum Potsdamer Treffen erfolgt sind, hält sich die Parteijugend damit also erst gar nicht auf. Lieber robbt Anna Leisten durch Schlamm und Stacheldraht und schreibt dazu auf ihrem Instagram-Account: „Trainingslager Ostfront 2025“.