Der ahnungslose Geschichtslehrer

13.000 Euro muss der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zahlen, weil er eine SA-Parole gebraucht hatte. Es ist ein Urteil mit Signalwirkung

Erschienen auf freitag.de, 16.05.24, Foto oben: Eva Kienholz

Es gibt ein Foto in Schwarz-Weiß vom Reichsparteitag im Jahr 1934. Ein NSDAP-Funktionär hält eine Rede ans Volk, der Nürnberger Luitpoldsaal ist rappelvoll. Hinten im Saal hängen riesige Letter an der Wand: „Alles für Deutschland“. Es war die Losung der SA, der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP. Es war aber auch die Losung, die Björn Höcke im Mai 2021 bei einer Wahlveranstaltung in Merseburg benutzt hatte. Am Ende seiner Rede rief er mit lauter und entbehrungsreicher Stimme: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland.“ Dafür musste er sich nun vor Gericht verantworten.

Höcke, der ehemalige Geschichtslehrer, behauptete immer wieder, nicht gewusst zu haben, dass die Losung im Nationalsozialismus verwendet wurde. Er schleppte sogar Schulbücher in den Gerichtssaal, um aufzuzeigen, dass diese Parole nicht in ihnen auftauchte. Allerdings hielt nicht nur das Gericht Höckes Worte für unglaubwürdig. In einem Interview mit T-Online erklärte etwa der Stiftungsdirektor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald Jens-Christian Wagner: „Die Parole ‚Alles für Deutschland‘ war im Nationalsozialismus öffentlich omnipräsent. Sie war überall zu sehen, auf den Straßen, auf Veranstaltungen der SA, sie war auf den Dolchen der SA-Mitglieder eingraviert. Sie gehört zum Standardrepertoire der NS-Propaganda.“

Nun ist das Urteil gefallen, Höcke muss 13.000 Euro zahlen. Damit blieb das Gericht weit unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von sechs Monaten Haft, ausgesetzt zu zwei Jahren Bewährung. Wichtiger als das Strafmaß erscheint aber ohnehin die Signalwirkung, die von diesem Urteil ausgehen könnte. Die Strategie der AfD, die Grenzen des Sagbaren immer weiter zu verschieben und dann entweder Ahnungslosigkeit vorzutäuschen oder sich selbst als Opfer darzustellen, geht zumindest vor Gericht nicht mehr auf.

Die harte Forderung der Staatsanwaltschaft hatte indes auch damit zu tun, wie Höcke sich verhalten hatte, als er längst wusste, dass ihm wegen der SA-Parole der Prozess gemacht werden sollte. So rief er beim Bürgerdialog in Gera im Dezember 2023 „Alles für …“ und animierte anschließend das Publikum „… Deutschland“ zu ergänzen. Ohnehin dürften bei diesem Bürgerstammtisch die Verfassungsschützer genau zugehört haben. „Wir werden auch ohne Probleme mit 20 bis 30 Prozent weniger Menschen in Deutschland leben können“, sagte Höcke noch in Bezug zu seinen Gedanken zur „Remigration“ – und imaginierte sich schon in seine neue Führerrolle in Thüringen: „Vom Erfurter Flughafen werden Abschiebeflüge in den Himmel steigen.“ Das Publikum klatschte und lachte.

Den Anklagevorwurf nannte Höcke vor Gericht eine „Banalität“ und behauptete, „das alles hier hat doch mit Nazis nichts zu tun.“ Das versuchte auch der pensionierte Geschichtslehrer Karlheinz Weißmann zu bekräftigen, der eigens als Zeuge angereist war. Weißmann hatte einst zusammen mit Götz Kubitschek das „Institut für Staatspolitik“ gegründet. Vor Gericht dozierte Weißmann darüber, dass der Spruch „Alles für Deutschland“ von Ludwig I., dem König von Bayern erfunden worden sei und in der Weimarer Republik von Nationalisten, aber auch von Sozialdemokraten benutzt wurde und nach 1945 sogar kurz von der SED. Auch die Nazis hätten sich dieser Formel bedient, so Weißmann, allerdings habe sie dort keine starke Präsenz gehabt. Im Gegenzug las der Richter aus einer SA-Zeitschrift vor, in der ein verstorbener SA-Führer gehuldigt wurde, weil er „das hohe und heilige Gesetz der SA ‚Alles für Deutschland‘ bis zum letzten Atemzug erfüllt“ habe.

Natürlich ist nicht davon auszugehen, dass Höckes Fans sich von diesem Urteil irritieren lassen, dafür scheinen die Fronten zwischen ihnen und dem demokratischen Deutschland schon lange viel zu verhärtet. Stattdessen finden sich unter Höckes Facebook-Posts einige Nachahmer der Losung, die sie mit blauen Herzchen versehen. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster kürzlich bestätigte, dass die AfD sowie ihre Nachwuchsorganisation vom Verfassungsschutz als rechtsextremistische Verdachtsfälle eingestuft werden dürfen, äußerte sich dazu Höcke in einem Facebook-Beitrag, den ein User kommentierte: „Es ist doch absehbar gewesen, daß ein Gericht aus NRW so urteilen wird. Die sind von der Regierung geschmiert, damit diese ihr geplantes ‚Deutschland-an-die-Wand-fahren‘ ungeniert fortsetzen können.“ Die Saat, die Höcke und seine Mitstreiter gesät haben, geht zumindest unter ihren Anhängern auf.

Allerdings kann auch Höcke nicht mehr davon ausgehen, mit seiner Strategie der immer weiter verschobenen Grenzen des Sagbaren durchzukommen. Schon bald wartet auf ihn ein neuer Prozess. Es geht dann um seine Wiederholung der SA-Losung in Gera, bei der er sein Publikum als Sprachrohr benutzte.