Alt, weiblich, sichtbar und aktiv: Die „Omas gegen Rechts“ reden nicht nur, sie machen auch.
Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 06/2021, Foto oben: Eva Kienholz
Auch an diesem Januartag am Brandenburger Tor in Berlin gilt: Wo eine Demo ist, ist auch eine Oma. Trotz eisiger Temperaturen haben sich mehrere ältere Frauen der Kundgebung einer polnischen Aktivist*innengruppe angeschlossen. Sie selbst gehören zur bundesweiten Bewegung „Omas gegen Rechts“, die meist an ihren bunten Strickmützen zu erkennen sind. Gemeinsam wird gegen das verschärfte Abtreibungsgesetz in Polen protestiert. „My body, my choice, raise your voice“ schallt es aus den Lautsprechern.
Plötzlich hält ein Mann um die 60 auf seinem Fahrrad an, genau dort, wo vier ältere Frauen stehen. Sie tragen weiße Buttons, Schilder mit schwarzer Aufschrift „Omas gegen Rechts“. Der Mann, Typ Allwetterjacke, schimpft grimmig: „Schämen Sie sich! Abtreibung ist Mord an einem Menschen!“ Sofort kontern die Omas: „Ein Ei ist kein Huhn, eine Kaulquappe ist kein Frosch und eine befruchtete Eizelle ist kein Mensch.“ Nach kurzem Schlagabtausch düst der Mann auf seinem Fahrrad ab. Die Frauen bleiben.
Die „Omas gegen Rechts“ stammen eigentlich aus Österreich. Im November 2017 gründeten zwei Wienerinnen unter diesem Namen eine überparteiliche Initiative – als Reaktion auf die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ. Zwei Monate später entstand auch in Deutschland eine erste Facebook-Gruppe, um sich mit den „Uromas“ – so nennen deutsche Omas die österreichischen – zu solidarisieren, im Kampf gegen Rechtsextremismus und für eine bessere Welt. Sie laufen bei Fridays for Future mit, lassen auch Opas mitmachen, setzen sich für Geflüchtete ein, putzen Stolpersteine, unterstützen antirassistische Aktionen.
„Mein Vater kam 1949 aus Russland, als in Familien geschwiegen und wenig gefragt wurde. Mein Engagement bei den Omas ist mir daher essenziell wichtig“, erzählt Gertrud Graf, eine Berliner Oma, während der Demo am Brandenburger Tor. Sie ist 69 Jahre alt und trägt einen langen Plüschmantel mit Leopardenmuster. „Um eine ,Oma gegen Rechts‘ zu sein, muss man keine biologische Oma sein. Auf die richtige Haltung kommt es an.“ Ihr persönlicher Schwerpunkt sei der Feminismus, daher sei sie auch heute hier. Als sie plötzlich aufgerufen wird, eilt sie zum Mikrofon und hält spontan eine Rede.
Gertrud Graf war es auch, die den Omas in Ostdeutschland geholfen hat, sich zu vernetzen. Als „Hebamme der Ostgruppen“ wurde sie einmal bezeichnet. Mit Uta Schumann, einer 65-jährigen Designerin, hat sie im Januar 2019 die erste Regionalgruppe in Erfurt gegründet. Schumann selbst wuchs in der DDR auf und lebt heute in einer WG in der Thüringer Landeshauptstadt. „Weil ich mich im Unterricht auch oft kritisch geäußert habe, flog ich in der 9. Klasse von der Schule“, erzählt sie am Telefon. Als dann am 5. Februar 2020 Thomas Kemmerich von der FDP durch die Stimmen der Thüringer AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, war die Empörung groß, natürlich auch bei den Omas in Erfurt. Also stellten sie sich jeden Tag vor die Thüringer Staatskanzlei, um eine Mahnwache abzuhalten. Einen Monat lang – bis zu den Neuwahlen.
Viele Omas, die sich der überparteilichen Bewegung angeschlossen haben, waren schon früh in ihrem Leben politisch aktiv, so wie Ina, eine geborene Westberlinerin. Auch sie ist bei der Kundgebung gegen Polens Abtreibungsverbot dabei. Sie erzählt von ihren frühesten Protesterfahrungen: „Zum Abschluss des Vietnam-Kongresses im Februar 1968 gab es in Berlin eine große Demo. Damals habe ich mit meiner Familie direkt am Ku’damm gewohnt, also dort, wo die Demo langlief. Ich war 15 und durfte einen Teil mitlaufen. Da hab ich auch gesehen, wie Leute am Straßenrand Rudi Dutschke angespuckt und den Demonstrierenden zugerufen haben: ‚Euch müsste man vergasen.‘ Grauenerregend.“
Heute ist Ina 66 Jahre, pensionierte Biologie- und Deutschlehrerin und aktive „Oma gegen Rechts“. Sie wirkt tough, trägt eine runde Brille mit goldenem Metallgestell, die immer wieder beschlägt, wenn sie mit FFP2-Maske redet. Auf ihrem Kopf sitzt eine schwarze Baskenmütze, so wie sie Dutschke damals oft getragen hat. Wenn man sie nach ihrem schönsten Moment fragt, den sie mit den „Omas gegen Rechts“ erlebt hat, sagt sie: „Letztes Jahr haben wir mit Fridays for Future hier am Brandenburger Tor nach einer Demo noch zusammengesessen. Die jungen Leute waren sehr daran interessiert, dass wir Omas bei ihren Demos mitlaufen. Und ich habe mich sehr gefreut, dass so viele junge Leute wieder auf die Straße gehen.“
Morddrohung per Post
Inzwischen gibt es in Deutschland einige Tausend Omas in über hundert Regionalgruppen, die nicht alle einer Initiative angehören. Während die einen Omas ein unabhängiges Bündnis bleiben wollten, hatten die anderen einen Verein im Sinn. Das führte Anfang 2019 zu einer Art Spaltung. Heute gibt es verschiedene Homepages und Facebook-Seiten, Aktionen, die vom Bündnis oder vom Verein ausgehen, und Regionalgruppen, die sich dem Bündnis oder dem Verein zugehörig fühlen. Ausnahmen sind München und Berlin: Da sind beide Gruppen vertreten.
Uta Saenger aus Hannover gehört zum Beispiel dem Bündnis an, das im Februar 2019 als reine Vernetzungsgruppe von Gerda Smorra aus Bremen initiiert wurde. Gemeinsam mit Anna Ohnweiler aus Nagold im Schwarzwald baute Smorra damals die „Omas gegen Rechts“ in Deutschland auf. Am Telefon erklärt Saenger: „Heute sind die ‚Omas gegen Rechts‘ eine große Bewegung, die sich eben unterschiedlich organisiert.“ Das führt mitunter auch zu internen Differenzen. Als im November 2020 der Zentralrat der Juden in Deutschland der bundesweiten Initiative „Omas gegen Rechts“ den „Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage“ verlieh, musste ihn ja jemand entgegennehmen. In diesem Fall war es Anna Ohnweiler, die Vereinsvorsitzende, was wiederum den Bündnis-Omas missfiel. „Wir haben den Preis schließlich alle gewonnen“, sagt die 67-jährige Saenger.
Allerdings sind interne Diskussionen für die Omas nicht so wichtig wie ihre politischen Anliegen, die sie öffentlich äußern – nicht immer ohne Folgen: Anna Ohnweiler, 71 Jahre alt, hat nach einem Fernsehauftritt eine Morddrohung per Post erhalten. Neben brutalen Mordfantasien stand auf der Karte in Schreibschrift: „Wir wollen hier keine Omas gegen RECHTS. Wir wollen hier nur Omas und Opas und andere ordentliche Deutsche gegen LINKS!“ Ohnweiler erklärt am Telefon: „Angst machen mir solche Drohbriefe nicht, aber Angst macht mir der Hass, den die AfD sät, und der Antisemitismus, der über Verschwörungstheorien transportiert wird.“ Die „Omas gegen Rechts“ sind also keine homogene Bewegung. Trotzdem verbinden sie alle die gleichen Grundsätze und ihr enormes politisches Engagement, das selbst durch die Corona-Pandemie nicht zu bremsen ist. Statt sich persönlich zu treffen, vereinbaren sie nun Video-Meetings, um Aktionen zu planen. Nebenher wird getwittert, gepostet, auf Whatsapp oder Signal getextet. Ruhestand gibt es nicht. Zumal bei den Omas auch Frauen mitmachen, die noch nicht in Rente sind.
In den vergangenen drei Jahren haben die „Omas gegen Rechts“ eigene Aktionen initiiert oder sich anderen Bündnissen angeschlossen. Sie sind bei unzähligen Demonstrationen mitgelaufen, haben Briefe und Petitionen an Ministerien und Fraktionen geschrieben, sie haben Spenden für gemeinnützige Organisationen gesammelt, in der ganzen Republik Mahnwachen abgehalten oder sich juristisch gewehrt, etwa gegen den Hallenser Rechtsextremisten Sven Liebig, der schon mehrmals die „Omas gegen Rechts“ auf demütigende Weise öffentlich beleidigt hat. Einmal starteten die Omas einen Gegenangriff: Als Liebich gerade auf dem Marktplatz in Halle hetzte, tauchten plötzlich Flashmob-artig Hunderte von älteren Frauen auf – mit weißen Schirmen, Trillerpfeifen und Trommeln. Sie riefen: „Alerta, Alerta, Omas sind härter!“ Sowieso fühlen sich einige Rechtsextremisten von den Omas regelrecht provoziert. Eine Berliner Oma berichtet am Telefon, dass sie inzwischen bereits in einer Datensammlung, die von „Personen des rechten Spektrums“ angelegt wurde, entdeckt worden sei – das hätte ihr die Polizei mitgeteilt. Diese sogenannten Feindeslisten der Rechtsextremen, mit Adressen und anderen privaten Informationen über politische Gegner*innen, gehören zum klassischen Bedrohungsrepertoire. „Einmal saß ich in meinem Auto, und da kam ein Mann an, schlug eine Beule ins Autoblech und sagte: ,Schönen Gruß von der AfD‘.“ Kurz zuvor habe sie sich bei einem Nachbarschaftsprotest gegen ein AfD-„Volksfest“ engagiert und mit einem Blogbeitrag über die erfolgreiche Protestaktion den Randalierer wohl verärgert.
Seit drei Jahren sind die „Omas gegen Rechts“ Teil des zivilgesellschaftlichen Widerstandes, der sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Sie sind die erste Generation älterer Frauen in Deutschland, die als öffentliche politische Kraft gegen das Stereotyp von der Unsichtbarkeit der Frauen im Alter arbeitet. Sie selbst schreiben über sich: „Alt sein heißt nicht stumm sein.“ Genau dieser feministische Einsatz, den sie an die jüngeren Generationen von Frauen weitergeben, dürfte so wichtig sein wie ihr politischer.
Dass die Omas genau zum richtigen Zeitpunkt ihre Stimme erheben, zeigen die jüngsten Ereignisse: Während die Walter-Lübcke-Schule in Wolfshagen eine Bombendrohung erhielt, unterzeichnet mit „NSU 2.0“, beschmierten Unbekannte ein Graffito unter der Frankfurter Friedensbrücke, das an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau erinnert. Wenn sich am 19. Februar der Anschlag zum ersten Mal jährt, werden auch die „Omas gegen Rechts“ gedenken und mahnen. Müde werden sie davon nicht. Im Gegenteil.