Erschienen auf freitag.de, 08.11.24, Foto oben: Eva Kienholz
Schon seit Juni vergangenen Jahres schmückt das gleiche Titelbild den Facebook-Account von Alice Weidel. Es zeigt die AfD-Chefin in ihrer Standard-Kluft – Blazer, weiße Bluse, Perlenkette. Neben ihr steht in großen Lettern: „Deutschland braucht Neuwahlen!“
Mit dem, was am 6. November, dem Tag der Präsidentschaftswahl in den USA, in Deutschland passiert ist, hat Weidel kaum rechnen können. Sie sollte eigentlich erst im März 2025, beim nächsten Bundesparteitag der AfD, zur Kanzlerkandidatin gekürt werden. Womöglich wäre ihr Titelbild noch bis zur Bundestagswahl im kommenden September gleich geblieben, nun wird diese Wahl aber deutlich früher abgehalten werden.
Für Weidel und die AfD hätte es für die Implosion der Ampelkoalition keinen besseren Zeitpunkt geben können. Einen Tag vorher sind acht Männer im Alter von 21 bis 25 Jahren festgenommen worden. Sie sollen eine rechtsextreme Terrorgruppe gegründet haben, die sich „Sächsische Separatisten“, kurz „SS“, nannte. Die Mitglieder sind von einem bevorstehenden Kollaps Deutschlands ausgegangen und haben sich für diesen Tag X Umsturzpläne zurechtgelegt. Zu diesem Zweck hätten sie paramilitärische Trainings mit Kampfausrüstung absolviert, um in Teilen Ostdeutschlands ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Staatsgebilde zu erschaffen und darin unerwünschte Menschen zu „entfernen“.
Unter den Festgenommenen war auch Kurt Hättasch, AfD-Stadtrat in Grimma und Schatzmeister der sächsischen Jungen Alternative, sowie zwei weitere Parteimitglieder. Angesichts von Trumps Erdrutschsieg und dem Aus der Ampelregierung interessiert all das die Öffentlichkeit aber gerade nicht.
Von Seiten der AfD-Spitze hagelte es Glückwünsche in die USA, schließlich wurde dort ein Rassist, Autokrat und Frauenfeind, der eine ähnliche politische Agenda verfolgt wie die AfD, zum neuen mächtigsten Mann der Welt gewählt. Die Partei hofft nun nicht nur auf einen Verbündeten im Geiste aus Übersee, sondern auf ein Ende des links-liberalen Zeitgeistes.
Klar, die Ampel-Regierung war marode, hat nicht gut funktioniert, war ein Auslaufmodell – doch was folgt jetzt? Eine neue Regierung mit Friedrich Merz (CDU) an der Spitze würde in jeder Konstellation rechter werden. Auch ein gerade noch viel diskutiertes AfD-Verbotsverfahren dürfte es unter einer Merz-Regierung deutlich schwerer haben, gerade, wenn die AfD bei Neuwahlen erstmals zweitstärkste Kraft werden würde – so schnitt sie bei der Europawahl ab und so steht sie laut aktuellen Umfragen immer noch da. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich die AfD in letzter Zeit mit selbst produzierten Skandalen zurückgehalten hat. Stattdessen verfolgte sie eine Politik der schleichenden Normalisierung ihrer rechtsextremen und migrationsfeindlichen Agenda.
Auch ihr ständiges Pochen darauf, die Brandmauer nun endlich einzureißen, scheint immer mehr Gehör zu finden. In Sachsen hat Ministerpräsident und CDU-Mann Michael Kretschmer den sächsischen AfD-Chef Jörg Urban zu einem Gespräch getroffen – ausgerechnet an dem Tag, an dem die drei AfD-Kader wegen Terrorverdachts festgenommen wurden. Und in Thüringen hat sich das BSW beim Thema Corona-Untersuchungsausschuss offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD gezeigt. Die Brandmauer bröckelt immer weiter.
Und so zeigten sich am Tag nach dem Ampel-Aus die beiden AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla selbstbewusst in ihrer Pressekonferenz, nachdem sie schon in einem schriftlichen Statement den Bruch der Ampel als eine „Befreiung“ für Deutschland bezeichnet hatten. Vor laufenden Kameras sagte Weidel, dass die Ampel genauso unwürdig zu Ende gegangen sei, wie sie regiert habe. Außerdem forderte Weidel – wieder in Blazer, weißer Bluse und Perlenkette – die Union und die FDP auf, „eine bürgerliche Verantwortung“ zu übernehmen und sich mit der AfD zu verständigen – sprich: endlich die Brandmauer einzureißen.
Es mutet absurd an, dass die AfD gerade mal zwei Tage, nachdem aus ihren eigenen Reihen drei mutmaßliche Rechtsterroristen festgenommen wurden, die Vernunftkeule schwingt. Doch eins hat sie schon geschafft: Sie hat Gift in die Koalitionsverhandlungen im Osten und in die Beziehungen der anderen Parteien injiziert. Nun präsentiert sich die AfD in einer sehr lauten Zeit als eine fast bedachte Stimme der Vernunft. Das könnte ihr bei baldigen Neuwahlen Erfolge bescheren.