Sitzen bleiben, Bier trinken

In Halle wollen die Identitären Präsenz zeigen. Doch die geplante Demo scheitert am Widerstand der Bürger

Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 30/2019, Foto oben: Eva Kienholz

Ein Mann mit einem weißen NPD-Shirt läuft auf das Sommerfest der Identitären Bewegung (IB) in Halle zu. Seit zwei Jahren betreibt die IB dort ein Hausprojekt. An diesem Tag ist ihr Haus von Polizeibussen abgesperrt, um Linke und Rechte auseinanderzuhalten. Der Mann mit dem NPD-Shirt läuft an den Polizisten vorbei, auch an Gegendemonstranten. Sie buhen ihn aus. Als er an der Polizeisperre vorbei ist, zieht er sein Shirt aus, dreht es um, zieht es verkehrt herum wieder an. Die NPD trägt er zwar noch am Körper, aber sichtbar ist sie nun nicht mehr.

Vom Vorwurf, umlackierte Rechtsextreme zu sein, hat sich die Identitäre Bewegung nie frei machen können. Daran konnten auch die an den Mainstream angepassten Klamotten, Plakataktionen im Stil der Linken oder Worthülsen wie „Remigration“ – anstelle von „Ausländer raus“ – nichts ändern. Zuletzt hat der selbst ernannten Bewegung die Spende des Christchurch-Attentäters an den österreichischen Identitären-Chef Martin Sellner und die Einstufung des Verfassungsschutzes als „gesichert rechtsextrem“ geschadet.

Mit einer groß angekündigten Demo inklusive Sommerfest versuchen die Aktivisten an diesem Samstag in Halle wieder auf sich aufmerksam zu machen. Halle ist nicht zufällig gewählt, befindet sich dort doch seit zwei Jahren eben jenes Hausprojekt, das der neurechte Vordenker Götz Kubitschek einst als „Leuchtturm“ bezeichnet hatte. Und vor diesem Haus stehen die Aktivisten nun herum, bei 30 Grad, während aus den Boxen der rechte Rapper Komplott ertönt: „Das junge Europa muss aufstehen, aufdrehen, rausgehen, die Faust heben, bis es alle anderen auch sehen.“

Bis zum Mittag, bis also der Mann mit dem umgedrehten NPD-Shirt dazustößt, versammeln sich etwa 250 Anhänger vor dem Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16. Dessen Fassade ist beschmiert. Seit das Haus als „patriotisches Zentrum“ eröffnet wurde, wechselt es durch nächtliche Angriffe häufiger mal seine Farbe. Mal ist es rot, mal blau, jetzt ist es schwarz gesprenkelt. Aus den Fenstern schwenken zwei Identitäre gelbe Fahnen mit schwarzem Lambda, dem Logo der IB. Unten, auf der Straße, wird sich in Liegestühlen gesonnt, auf Bierbänken Bier getrunken, in kleinen Grüppchen geredet. Etwas unruhig wirkt dabei Daniel Fiß. Er ist Vorsitzender der Identitären Bewegung in Deutschland und auch Anmelder der Demo, die neben dem Sommerfest das zentrale Ereignis des Tages werden soll, aber nicht planmäßig starten kann. Das Areal vor dem Haus ist polizeilich abgesperrt. Außerdem blockieren etliche Gegendemonstranten die Straße.

„Wir wollen in diesem polarisierenden Viertel ein Zeichen setzen“, sagt Fiß, dessen politische Wurzeln in der Neonaziszene liegen. Heute gibt er sich unauffälliger, trägt schlichtes Shirt und Jeans. Auch seine Worte klingen gut bedacht, ein bisschen Politikersprech mischt sich unter. Das kommt nicht von ungefähr. Erst im Frühjahr durfte Fiß für zwei Monate in den Bundestag. Da machte er ein Praktikum beim AfD-Abgeordneten Siegbert Droese. Fragt man Fiß nach den Gründen für seine zweimonatige Liaison mit der AfD, antwortet er, dass er Droese bei der Erstellung einer Website geholfen, aber keinen Einfluss auf seine parlamentarische Arbeit genommen hätte. „Es ist wichtig, dass es eine formelle Trennung zwischen der AfD und der Identitären Bewegung gibt.“

Es scheint, als würde diese Trennung nur auf dem Papier existieren. Offiziell steht die Identitäre Bewegung auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Doch inoffiziell gab und gibt es mehrere Kollaborationen. Ein Beispiel für Halle ist die Jura-Studentin Hannah-Tabea Rößler. Sie trat 2019 für die AfD bei der Stadtratswahl an und saß noch in diesem Jahr für die „Campus Alternative“, die AfD-nahe Hochschulgruppe, im Studierendenrat der Martin-Luther-Universität. Gleichzeitig tritt sie immer wieder als Aktivistin für die Identitären auf. Laut Lukas Wanke, dem Vorsitzenden des Studierendenrats, konnte Rößler keine Wirkung an der Uni entfalten. Eine Schlappe für die Identitären.

Während sich um den Campus an diesem Tag der Gegenprotest auftut, jung, alt, männlich, weiblich, divers, stehen hinter den Absperrungen nur vereinzelt Frauen – die Identitären sind eindeutig männerdominiert. Eine der wenigen Frauen ist die 17-jährige Jessi, die seit dreieinhalb Jahren dabei ist. Sie hat gerade ihr Abitur gemacht und kommt aus einem Dorf in der Nähe von Dresden. Sie trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Patriotin“. Auf dem Shirt ihres Freundes steht „Patriot“. „Wir haben nichts gegen Ausländer, nur gegen die, die sich nicht benehmen können“, sagt Jessi. Ihr Vater würde die AfD wählen und sie in ihren Ansichten unterstützen. Sie erzählt von einzelnen Problemen mit Migranten, die Freunde und Angehörige gehabt hätten. Aus diesem Grund wäre sie bei der IB aktiv.

So einheitlich und geeint, wie sich die Identitären gerne geben, sind sie bei ihrem Sommerfest aber nicht. Da gibt es Leute wie Jessi und ihren Freund, die mit gemäßigteren Ansichten eher unbemerkt in der Ecke sitzen. Da gibt es Typen mit abrasiertem Haar, die mit einem Liegestuhl gewappnet zum Hauptbahnhof ziehen wollen. Da gibt es IB-Kader, die sich vor Kameras stellen. Und da gibt es ältere Leute aus dem AfD- und Pegida-Umfeld, die sich unter die „Jugendbewegung“ mischen. Einer davon ist Karl. Er ist Rentner, trägt einen Strohhut und ein Shirt mit dem Logo der IB. Er sagt Sachen wie: „Die ganzen Neger, die übers Mittelmeer mit dem Schiff von der Schlepper-Rackete kommen, werden hier nie arbeiten.“ Ein junger Mann, blonder Scheitel, blaues Lyle&Scott-Shirt, das Lieblingslabel der Identitären, wird hellhörig. Er tippt den Rentner an und meint, Gespräche mit der Presse solle man lieber den professionellen Rednern der IB überlassen.

Auf der anderen Seite der Absperrungen wird derweil weiter protestiert. Insgesamt kommen etwa 3.000 Leute, auch aus anderen Städten, um eine mögliche Bewegung der Identitären zu blockieren und mit vier angemeldeten Demos durch die Stadt zu ziehen. Auch die „Omas gegen Rechts“ sind da. Eine von ihnen ist Ramona. Sie ist 55 Jahre alt und arbeitet hier im Viertel. Die junge Oma steht direkt neben einer Sitzblockade. Als es plötzlich Rangeleien zwischen Gegendemonstranten und Polizisten gibt, bleibt sie stehen. Angst machen ihr solche Szenen nicht. Angst macht ihr der aktuelle Aufstieg von Rechtsextremisten. „Ich möchte nicht, dass so was wie Anfang der 30er Jahre noch mal hier in Deutschland passiert. Und ja, die Gefahr sehe ich leider.“ Sie blickt nach rechts, zum Haus der Identitären. „Schlimm, dass hier das Haus steht.“

Hausprojekt hau ab

Die vielen „Haut ab“-Rufe der Gegendemonstranten sind symptomatisch für die Situation der IB in Halle: Sie hat es nicht geschafft, sich in der Stadtgesellschaft zu etablieren. „Das Haus hat noch eine wichtige Bedeutung für interne Vernetzungen, aber außerhalb dieses inneren Kreises ist es nahezu bedeutungslos“, sagt Torsten Hahnel von Miteinander e.V., einem Verein, der sich für Demokratie und Weltoffenheit einsetzt. Selbst der hessische AfD-Abgeordnete Andreas Lichert, der über eine Stiftung das Identitären-Haus in Halle finanziert hat, äußerte sich zuletzt ernüchtert über das Hausprojekt.

Es scheint, als würde die Identitäre Bewegung in einer Sackgasse stecken. Eine Bewegung, die Massen anzieht, war sie nie und wird sie wohl auch nicht sein, die Mitgliedszahlen stagnieren, der Verfassungsschutz geht von etwa 500 Mitgliedern in Deutschland aus. Ausgemacht hat sie aber stets ihre Beweglichkeit, Aktionen wie die kurzzeitige Besetzung des Brandenburger Tores. Aber ein Alltagsformat, das außerhalb der virtuellen Welt politisch für sie aufgeht, haben die Identitären nicht gefunden. Da hat auch das Hausprojekt als festes Standbein nicht geholfen. „Die Identitären in Halle befinden sich gerade auf Strategiesuche. Sie brauchen ein neues Profil, um sich hier vor Ort behaupten zu können“, sagt Valentin Hacken. Er ist Sprecher des Bündnisses „Halle gegen Rechts“.

Am Ende spricht auch der Verlauf des Tages, auf den die Identitären so viel gesetzt hatten, für diese These. Die Demo darf wegen Sicherheitsbedenken nicht starten, die meisten rechten Aktivisten verbringen den Tag vor dem Haus der IB. Und der Star der Szene, der Österreicher Martin Sellner, hängt bis zum Abend am Hauptbahnhof von Halle in einer Polizeisperre fest.