Zehntausende Demonstranten behinderten die Gründung der AfD-Jugendorganisation – mit Verzögerung formiert sich in Gießen die „Generation Deutschland“ dann doch noch. Das sind die Personen des völkischen Nachwuchsverbands
Erschienen auf freitag.de, 30.11.25
Es vergingen zwei Stunden und zwanzig Minuten, bis die AfD in den Messehallen in Gießen loslegen konnte. Zehntausende Menschen hatten seit den frühen Morgenstunden protestiert sowie die Zufahrtsstraßen blockiert, damit sich eine rechtsextreme Parteijugend nicht widerstandslos neu erfinden konnte.
Bundesweit hatte das Bündnis Widersetzen mobilisiert. Die Polizei reagierte mitunter mit Wasserwerfern, Reizgas und Schlagstöcken. Auch wenn es Widersetzen nicht schaffte, das Gründungstreffen zu verhindern, steckte die Zukunft der AfD doch immerhin für einige Zeit fest.
Erst im Frühjahr hatte sich die Junge Alternative (JA), wie sich die bisherige AfD-Jugend nannte, unter Protest vieler ihrer Mitglieder aufgelöst. Sie wollte ein Verbot umgehen, das den Behörden leichter gefallen wäre als etwa das Verbot einer Partei, weil die JA als eigenständiger Verein organisiert war.
Die neue Jugendorganisation wird offiziell an die AfD angegliedert, was auch ein härteres Durchgreifen der Parteispitze ermöglicht. Bislang trat die rechte Jugend chaotisch und mitunter offen radikal auf, etwa wenn sich Mitglieder der JA als „Höcke-Jugend“ bezeichneten, was sicher so gemeint war, wie es klingt. So manches Mal hitlerte es den beiden Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla, die selbst in Gießen zugegen waren, wohl ein bisschen zu offensichtlich.
Um die Gründung der neuen AfD-Jugend zumindest innerhalb der Gießener Messehallen reibungslos zu vollziehen, hatte sich die Parteispitze gemeinsam mit dem Nachwuchs bereits im Vorfeld auf einen Namen, einen Vorsitzenden und ein Jugendstatut geeinigt. Versammlungstechnisch lief alles nach Plan: Die neue Jugendorganisation der AfD heißt „Generation Deutschland“, auch wenn einige Kader in Gießen für „Jugend Germania“ und andere für die Beibehaltung von „Junge Alternative“ plädiert hatten.
Ihr neuer Vorsitzender ist Jean-Pascal Hohm, er hatte keine Gegenkandidaten. Hohm steht als „Kalli“ gerne im Fanblock des FC Energie Cottbus, sucht die Nähe zur Identitären Bewegung und anderen Akteuren aus dem extrem rechten Vorfeld der AfD und biedert sich gleichzeitig mit gewählten Worten und beigefarbenen Pullovern der Parteispitze an – mit Erfolg. Nach seiner Rede, in der er ankündigte, künftig eng mit dem politischen Vorfeld zusammenzuarbeiten, bekam er über 90 Prozent der Stimmen. Seine Anhänger riefen „Kalli, Kalli, Kalli“.
Auch Hohms neue Vorstandskollegen glänzen mit Kontakten zum rechtsextremen Vorfeld der AfD. So folgt an zweiter Stelle Jan Richard Behr aus Rheinland-Pfalz, geschult in den „Akademien“ von Götz Kubitschek, dem neurechten Ideologen und Ziehvater der Identitären Bewegung. Zum zweiten Vize-Vorsitzenden wurde Adrian Maxhuni aus Niedersachsen gewählt. Er soll Kontakte zu einem alten NPD-Ideologen unterhalten, der auch Strategieschulungen gibt. Als dritter Vize setzte sich Patrick Heinz aus Nordrhein-Westfalen durch. Heinz hielt bereits in weißen Mokassins und leicht getönter Pornobrille Vorträge über die „Remaskulinisierung Deutschlands“ und kommt aus dem Lager um Matthias Helferich, der sich in internen Chats schon mal als das „freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet hatte.
Ansonsten schafften es vor allem diejenigen in den Vorstand, die besonders völkische Reden hielten – bis auf einen Bewerber, der mit rollendem R einen auf Führer machte: „Es gibt aber für mich in dieser Partei keine Flügel und individualistischen Bestrebungen. Denn die Liebe und Treue zu Deutschland teilen wir uns hier gemeinsam.“ Und: „Es ist und bleibt unsere nationale Pflicht, die deutsche Kultur vor Fremdeinflüssen zu schützen.“ Auch wenn ihn jemand für einen V-Mann hielt und andere sich über diesen jungen Mann mit clownsartigem Sakko in Royalblau echauffierten, votierten dennoch 85 Anwesende für ihn.
Ein anderer Vorstandsbewerber, der sich definitiv nicht aus Spaß in die Partei eingeschleust hat, ist Kevin Dorow aus Schleswig-Holstein, ein Burschenschaftler mit mehreren Schmissen im Gesicht. „Wir distanzieren uns nicht“, rief er in den Saal und meinte damit das extrem rechte Vorfeld. Außerdem forderte Dorow frei nach dem Motto der Hitlerjugend: „Jugend muss durch Jugend geführt werden, und dieses Prinzip muss unser Leitstern sein!“ Mit diesem NS-Spruch hatte es auch Björn Höcke, Thüringer AfD-Chef und Vater des völkischen Partei-Flügels, vor wenigen Monaten versucht, bevor er ihn dann doch löschte. Für diesen Auftritt wurde Dorow ausgerechnet mit 88 Prozent der Stimmen zum ersten Beisitzer gewählt – der Zahlencode 88 steht in der rechtsextremen Szene für „Heil Hitler“.
Nicht nur die Kandidaten, die es in den Vorstand geschafft haben, sprechen dafür, dass sich die neue Jugendorganisation der AfD nicht mäßigen wird. Auch das Drumherum in den Messehallen zeigte sein völkisches Gesicht: Björn Höcke kam aus Thüringen angefahren, um sich von Fanboys und Fangirls ablichten zu lassen. Das „freundliche Gesicht des NS“, Matthias Helferich, war aus Nordrhein-Westfalen gekommen. Und Götz Kubitschek durfte aus seinem Rittergut in Schnellroda anreisen, um einen Stand mit seinen Verlagsbüchern wie dem des österreichischen Identitären Martin Sellners auszustellen.
Wer an diesem Tag in die Messehalle blickte, sah vornehmlich junge Männer mit akkurat gekämmten Scheiteln, nur hier und da blitzten mal „Mädels“, wie Hohm junge Frauen in seiner Rede nannte, im Saal auf. Zwei weibliche Kandidatinnen schafften es in den neuen Vorstand. Während Reinhild Goes als stellvertretende Finanzbeauftragte bereits vorab feststand, wurde Julia Gehrckens überraschend zur dritten Beisitzerin gewählt.
Gehrckens gehört zum Frauennetzwerk „Lukreta“, das rückwärtsgewandte Geschlechterrollen propagiert und Migranten pauschal als Gewalttäter stigmatisiert. In Gießen erhielt Gehrckens, die sich für ihren Auftritt in eine grüne Tracht gehüllt hatte, Applaus für die Worte, für die alle innerhalb der AfD Applaus kassieren: „Nur millionenfache Remigration schützt unsere Frauen und Kinder.“ Als Beisitzerin, rief sie in den Saal voller Männer, wolle sie rechte Politik für Frauen zugänglicher machen. An dieser Stelle klatschte niemand.