Erschienen auf freitag.de, 21.06.22, Foto oben: Eva Kienholz
Zu Beginn des Bundesparteitags der AfD betrat ein selbstsicherer Björn Höcke die Bühne. Seine Worte, eigentlich ein Antrag zur Tagesordnung, klangen mehr wie die Eröffnungsrede eines Parteichefs. „Wir haben den Geist des Aufbruchs verloren“, beklagte er etwa. Die AfD sei zu lange durch „Narzissten im Bundesvorstand ausgebremst“ worden. Schließlich sagte er: „Wir brauchen die Sachdebatte vor der Personaldebatte.“ Gerne hätte Höcke all seine Anträge am ersten und nicht am letzten Tag behandelt. Doch schaffte er es nur, die Partei darauf festzulegen, dass sie künftig auch von einer Person geführt werden kann, statt wie bisher von einer Doppelspitze. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, wen Höcke, der selbstverliebte Kritiker aller Narzissten, zu gegebener Zeit auf dem AfD-Olymp sieht.
Schon heute folgt ihm seine Partei, wenn auch nicht bedingungslos. Gut 69 Prozent der Delegierten stimmten für die künftige Solo-Spitze. Gegenwärtig sei es nach Höcke aber „noch zu früh“, erstmal wolle er zwei Vorsitzende sehen. Und so geschah es auch: Tino Chrupalla wurde mit knapper Mehrheit zum Bundesprecher wiedergewählt, Alice Weidel zur Co-Bundessprecherin. Als Parteichefs sind die beiden für Höcke ideal. Weidel hat bereits vor langer Zeit einen Nichtangriffspakt mit ihm geschlossen, Chrupallas Schicksal in der Partei hängt maßgeblich von seinem „Flügel“-Netzwerk ab.
Ob Höcke den Sprung an die Spitze noch scheut, weil er um gemäßigte Wähler der Partei fürchtet oder sich selbst vor einer Niederlage gegen den hemdsärmeligen Chrupalla, weiß am Ende nur er selbst. Vielleicht ist auch eine Phase, in der die AfD eine tiefe Krise durchlebt, für Höcke lieber dafür da, sich warmzulaufen. Wenn die vergangenen Wahlschlappen erst bei der aktuellen Parteispitze abgeladen sind, wird Höcke nicht mehr zu verhindern sein. Dabei wissen alle, die ihn häufiger haben reden hören: Höcke will nicht einfach gewählt, sondern einem Messias gleich regelrecht gerufen werden.
Schon vor dem Parteitag war es Höcke, der den Ton gesetzt hatte. Er entwickelte nicht nur Anträge, die ihn selbst und sein Lager mächtiger machen sollten, sondern postete diese als „Gedanken zum Parteitag“ schon im Vorfeld auf seinem Facebook-Account. Als Vorgeschmack sozusagen. Oder als Fahrplan.
So ist es nicht verwunderlich, dass der neue Vorstand es in sich hat. Niemand aus dem Gremium ist dem gemäßigten Lager zuzuordnen oder war maßgeblich am Rausschmiss von Andreas Kalbitz beteiligt, dem ehemals mächtigen Strippenzieher des Flügels. Mit Christina Baum als Beisitzerin ist sogar eine bekennende „Flügelistin“ in den Vorstand gewählt worden. Auch die anderen Mitglieder dürften Höcke nicht in die Quere kommen. Vor allem nicht bei seinem Plan, durch eine neu gegründete Kommission die Partei strukturell umzukrempeln. Diese „Kommission zur Vorbereitung einer Parteistrukturreform“, so der Antragstitel, hat das erklärte Ziel, den Vorstand strategisch zu beraten und zu bestrafen, sollte sich dieser nicht an die Beschlüsse halten. Der Leiter der Kommission soll vom neu gewählten Bundesvorstand benannt werden. In einem Interview, das am Rande des Bundesparteitags geführt wurde, gab Höcke an, die Partei effizienter machen zu wollen – ein Dienst, den er gerne persönlich leisten würde.
Kurz vor dem Bundesparteitag in Riesa warnte der Brandenburger Landtagsabgeordnete Dennis Hohloch vor einer Spaltung, sollte Kalbitz wieder in die Partei aufgenommen werden. Hohloch verbindet eine besondere Geschichte mit Kalbitz: Dieser hatte ihm kurz nach seinem Rausschmiss einen „freundschaftlichen Schlag“ verpasst, woraufhin Hohloch mit einem Milzriss im Krankenhaus landete. Kommentarlos postete Kalbitz vor der Bundestagswahl einen Artikel der Jungen Freiheit, betitelt mit: „Hohloch stellt sich gegen Kalbitz-Rückkehr in AfD.“ Nachdem es Hohloch dann mit einer Kandidatur als Bundesschriftführer in den neuen Vorstand geschafft hatte, löschte Kalbitz die Verlinkung zum Artikel wieder. Auch einen Antrag, den seine Verbündete Birgit Bessin als Landesvorsitzende Brandenburgs mit in den Parteitag brachte, schaffte es nicht weiter. Sie wollte das Auftrittsverbot von Kalbitz kippen.
Brisant an diesem Antrag ist, dass der Leiter der Kommission „eine Gruppe von maximal 10 lebens-, berufs- und politikerfahrenen Personen“ zusammenstellen soll. Demnach würden auch Personen ohne AfD-Mitgliedschaft in Frage kommen. So könnte, zumindest theoretisch, der Parteistratege Götz Kubitschek aus dem Schatten seines Ritterguts in Schnellroda treten und die offene politische Bühne betreten. Selbst Andreas Kalbitz könnte Teil dieser erlesenen Gruppe werden, wenn auch derzeit unwahrscheinlich scheint, dass Höcke sich die ehemalige „Faust“ des inzwischen formal aufgelösten Flügels ans Bein binden möchte.
Am dritten und letzten Tag sollte es dann endlich um Inhalte gehen. Wieder betrat Höcke die Bühne, begnügte sich nicht mit dem Saalmikrofon und sprach vom „sogenannten Verfassungsschutz“. Wer Extremist sei, bestimme die Partei in Zukunft selbst, sagte er und setzte sich dann mit dem Antrag durch, die extrem rechte Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“ aus Baden-Württemberg von der Unvereinbarkeitsliste der Partei zu streichen. Höckes Rede war auch ein Plädoyer für die Zusammenarbeit mit rechtsextremen Organisationen aus dem erweiterten Dunstkreis der Partei: „Wir brauchen dieses Vorfeld. Ohne dieses Vorfeld sind wir nichts und werden nicht durchbrechen.“
Für Höcke lief also alles nach Plan, bis es zu seiner eingebrachten „Resolution zu Europa“ kam. In dem mehrseitigen Papier wird eine Auflösung der EU gefordert. Die einzige wirkliche Zusammenarbeit soll es beim Grenzschutz geben, von der „Festung Europa“ ist die Rede, inklusive „wirksamer physischer Barrieren“. Besonders scharf kritisierten vor allem Delegierte aus dem Westen, dass der Antrag eine Annäherung an Russland fordert und dabei nur von einem „Ukraine-Konflikt“ spricht. Sowieso schon hat der Streit um die Positionierung zum Krieg in der Ukraine die AfD tief gespalten. Dies zeigte sich auch in Riesa: Nach einem zweistündigen Streit über diese Resolution wurde der Parteitag vorzeitig beendet.
Trotzdem hat der Bundesparteitag gezeigt: Höcke denkt langfristig. Die Satzungsänderung, auch eine Einzelspitze zuzulassen, gibt ihm die Möglichkeit, in zwei Jahren die alleinige Macht zu übernehmen. Über den neuen Vorstand hat er bis dahin eine gute Machtbasis, um die AfD weiter nach seinen Vorstellungen zu prägen. Und die Einführung seiner Kommission zum Umbau der Partei ist sicherlich nur aufgeschoben, aber keinesfalls vom Tisch.
Mit dem neuen Vorstand erhofft sich Höcke, so schreibt er es auf seiner Facebook-Seite, „dass die Zeit der Flügelkämpfe vorbei ist“. Allerdings muss nun Gaulands „gäriger Haufen“, der sich immer mehr zu einer Höcke-Partei formiert, aufpassen, dass er nicht zu schnell zu gierig wird. Schließlich würde eine allzu streitvolle Machtübernahme den künftigen Parteichef Höcke beschädigen. Außerdem können Narzissten mit Niederlagen erfahrungsgemäß nur sehr schlecht umgehen.