Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 19/2022, Foto oben: Eva Kienholz
Vielleicht ist es konsequent, dass die AfD ausgerechnet am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein eine historische Wahlniederlage eingesteckt hat: Zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor neun Jahren muss die Partei ihren Platz in einem Landesparlament wieder räumen. Allerdings war die AfD in Schleswig-Holstein nie besonders erfolgreich. 2017 kam sie bei den Landtagswahlen gerade mal auf 5,9 Prozent. Als Begründung für das Ergebnis von 4,4 Prozent jetzt sagte Parteichef Tino Chrupalla: „Die Menschen sind hier relativ zufrieden.“
Auch in anderen westlichen Bundesländern wird die AfD immer unbedeutender. Ihre seit Jahren zunehmende Radikalisierung und die Parteiaustritte gemäßigter Kräfte, wie zuletzt der des Co-Parteichefs Jörg Meuthen, setzen den Westverbänden zu. Ein Björn Höcke in Thüringen ist für viele nicht nur geografisch weit weg. Die anfänglich unklare Haltung zur Corona-Politik tat ihr Übriges. Jetzt, im Ukraine-Krieg, macht die AfD plötzlich auf Friedenspartei und gibt sich weiter sehr Russland-nah. In Nordrhein-Westfalen, wo nun die nächsten Wahlen anstehen, dürfte der Partei ihr außenpolitischer Kurs kaum Auftrieb geben.
Doch was bedeutet der Abwärtstrend im Westen für die AfD im Osten? Auf Bundesebene erst mal nichts Gutes: Als Gesamtpartei wird sie schwächer werden. Sowieso sollten inzwischen alle „Gemäßigten“ der Partei den Traum ausgeträumt haben, die AfD könnte in naher Zukunft als seriöse konservative Kraft wahrgenommen werden, mit Aussicht auf Regierungsbeteiligung. Zumindest nicht im Westen, und erst recht nicht auf Bundesebene.
Im Osten aber, wo die AfD mit ihrem radikalen Kurs Wahlergebnisse von mehr als zwanzig Prozent einheimst, dürften die West-Niederlagen als Segen empfunden werden – denn sie dürften dem völkisch-nationalistischen Netzwerk in der AfD beim anstehenden Parteitag Flügel verleihen: Im Juni wird der gesamte Vorstand neu gewählt. Als bestes Beispiel, dass ein gemäßigter Kurs nicht funktioniert, wird dann die aktuelle Wahlschlappe im hohen Norden herhalten. Entsprechend hat der oberste Flügel-Exponent Björn Höcke genau einen Tag vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein seine Bewerbung für den AfD-Bundesvorstand in Aussicht gestellt.