Abtreibung war lange kein zentrales AfD-Thema. Aus Rücksicht auf die ostdeutsche Klientel?

Jetzt versucht auch die AfD, mit dem Thema Abtreibung in der Diffamierungskampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf zu polarisieren. Wie kommt sie damit eigentlich bei ostdeutschen Wählerinnen an?

Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 30/2025, Foto oben: Eva Kienholz

Es scheint, als hätte Beatrix von Storch schon lechzend auf diesen Fall gewartet: Seitdem Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin nominiert worden ist, diffamiert sie die Juristin auf ihren Social-Media-Kanälen und im Bundestag.

Sie unterstellt Brosius-Gersdorf, für eine Abtreibung bis wenige Minuten vor der Geburt zu plädieren, bezeichnet sie als „linksextrem“ und springt damit aufs gleiche Pferd wie viele rechte Medien, die mit einer koordinierten Hetzkampagne dazu beigetragen haben, die Wahl der Juristin zu verhindern.

Auch wenn von Storch selbst bekannt dafür ist, in Sachen Schwangerschaftsabbruch schon immer auf Linie mit dem „Marsch für das Leben“ und Abtreibungsgegnern zu sein, schrieb sich die AfD das Thema nie groß auf die Fahne.

Die Partei spielt sich gerne als Verfechter des gesunden Menschenverstandes auf, der seine Bürger nicht mit unnötigen Verboten gängeln möchte – rigide Regeln zum Schwangerschaftsabbruch passen da nicht so recht ins Bild.

Lieber verfolgt die AfD eine pronatalistische Politik, angetrieben nicht von christlicher Sexualmoral, sondern von ihrem rassistischen Weltbild. Vor der Bundestagswahl 2017 warb die AfD mit einem Wahlplakat mit einer schwangeren weißen Frau auf einer Picknickdecke, dazu der Slogan: „Neue Deutsche?’ Machen wir selbst.“

Laut ihrem Grundsatzprogramm will die AfD „mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung“ erreichen. Deutsche Familien ohne Migrationshintergrund sollen also mehr Kinder bekommen, in den Worten der Partei sei das eine „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“. Und so forderte sie schon 2020 im Bundestag, bei jedem Beratungsgespräch eine Ultraschalluntersuchung des ungeborenen Kindes verpflichtend anzubieten.

Das Ziel bei Gesprächen zu Schwangerschaftsabbrüchen müsse „der Schutz des ungeborenen Lebens“ sein. Das Recht der Frauen auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung ist demnach zweitrangig.

Trotz dieser Haltung hat die AfD dieses Thema bisher nie als eines gesehen, mit dem sie politisch punkten kann. Vielleicht aus Rücksicht auf ihre ostdeutsche Klientel? Im Gegensatz zur BRD war der Schwangerschaftsabbruch in der DDR in den ersten zwölf Wochen ab 1972 legalisiert.

Progressiv im heutigen Sinne dieses Wortes war der Umgang mit Abtreibungen aber auch im Osten nicht. Laut der Historikerin Jessica Bock, die sich kritisch mit dem Schwangerschaftsabbruch in der DDR auseinandersetzt, ging es der SED weder um das Selbstbestimmungsrecht der Frau noch um ihre Emanzipation. Auch nach Einführung der liberalen Fristenregelung 1972 wurden Frauen, die eine Schwangerschaft abgebrochen hatten, weiter stigmatisiert.

Heute formuliert es die im Osten stärkste Partei so: „Die Alternative für Deutschland wendet sich gegen alle Versuche, Abtreibungen zu bagatellisieren, staatlicherseits zu fördern oder sie zu einem Menschenrecht zu erklären.“

Auch wenn sich die AfD schon lange für eine pronatalistische Politik starkmacht, die den Schutz des ungeborenen Lebens vor das Selbstbestimmungsrecht der Frau stellt, scheint es der Partei in der aktuellen Diffamierungskampagne um Brosius-Gersdorf mehr um die Vermeidung einer Verfassungsrichterin zu gehen, die für ein Verbot der AfD votieren könnte.

Laut Brosius-Gersdorf sei das vorstellbar, wenn es „genügend Material gibt“. Eine vage Aussage, die aber reichte, um AfD-nahe Medien auf die Barrikaden zu treiben. Auf seiner Online-Plattform Nius schrieb Ex-Bild-Chef Julian Reichelt am Tag der Abstimmung, dass der Bundestag darüber entscheiden würde, „ob sich die CDU, unser Land und unsere Gesellschaft einem linken, lebensfeindlichen Todeskult zuwenden“ würden. Brosius-Gersdorf bezeichnete er als „Richterin des Grauens“.

Es ist nicht verwunderlich, dass CDU-Politiker, die mitunter für Reichelts Nius vor die Kamera treten, an jenem Tag gegen Brosius-Gersdorf stimmten. Aber es ist erschreckend, wie mit einer Juristin umgegangen wird, die von der AfD und ihrem medialen Umfeld zum politischen Feind aufgebaut worden ist. Ihre Aussagen wurden bewusst verdreht oder gänzlich falsch wiedergegeben.

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Trotz dieser Haltung hat die AfD dieses Thema bisher nie als eines gesehen, mit dem sie politisch punkten kann. Vielleicht aus Rücksicht auf ihre ostdeutsche Klientel? Im Gegensatz zur BRD war der Schwangerschaftsabbruch in der DDR in den ersten zwölf Wochen ab 1972 legalisiert.

Progressiv im heutigen Sinne dieses Wortes war der Umgang mit Abtreibungen aber auch im Osten nicht. Laut der Historikerin Jessica Bock, die sich kritisch mit dem Schwangerschaftsabbruch in der DDR auseinandersetzt, ging es der SED weder um das Selbstbestimmungsrecht der Frau noch um ihre Emanzipation. Auch nach Einführung der liberalen Fristenregelung 1972 wurden Frauen, die eine Schwangerschaft abgebrochen hatten, weiter stigmatisiert.

Heute formuliert es die im Osten stärkste Partei so: „Die Alternative für Deutschland wendet sich gegen alle Versuche, Abtreibungen zu bagatellisieren, staatlicherseits zu fördern oder sie zu einem Menschenrecht zu erklären.“

Wie die Rechten den Körper der Frau zum politischen Schlachtfeld machen

Auch wenn sich die AfD schon lange für eine pronatalistische Politik starkmacht, die den Schutz des ungeborenen Lebens vor das Selbstbestimmungsrecht der Frau stellt, scheint es der Partei in der aktuellen Diffamierungskampagne um Brosius-Gersdorf mehr um die Vermeidung einer Verfassungsrichterin zu gehen, die für ein Verbot der AfD votieren könnte.

Laut Brosius-Gersdorf sei das vorstellbar, wenn es „genügend Material gibt“. Eine vage Aussage, die aber reichte, um AfD-nahe Medien auf die Barrikaden zu treiben. Auf seiner Online-Plattform Nius schrieb Ex-Bild-Chef Julian Reichelt am Tag der Abstimmung, dass der Bundestag darüber entscheiden würde, „ob sich die CDU, unser Land und unsere Gesellschaft einem linken, lebensfeindlichen Todeskult zuwenden“ würden. Brosius-Gersdorf bezeichnete er als „Richterin des Grauens“.

Es ist nicht verwunderlich, dass CDU-Politiker, die mitunter für Reichelts Nius vor die Kamera treten, an jenem Tag gegen Brosius-Gersdorf stimmten. Aber es ist erschreckend, wie mit einer Juristin umgegangen wird, die von der AfD und ihrem medialen Umfeld zum politischen Feind aufgebaut worden ist. Ihre Aussagen wurden bewusst verdreht oder gänzlich falsch wiedergegeben.

Welches Mobilisierungspotenzial das Thema Schwangerschaftsabbruch besitzt, ist in den letzten Jahren in Polen und den USA zu beobachten gewesen

Selbst katholische Bischöfe schlugen sich auf die Seite der AfD, obwohl für diese Partei nicht jedes menschliche Leben als schützenswert gilt. Beatrix von Storch selbst hat sogar schon mal den Schusswaffengebrauch gegen Frauen und Kinder an den deutschen Grenzen befürwortet. Ausgerechnet sie spielt sich nun innerhalb der AfD als größte Verteidigerin der Menschenwürde auf.

Welches Mobilisierungspotenzial das Thema Schwangerschaftsabbruch besitzt, ist in den letzten Jahren in Polen und den USA zu beobachten gewesen. In beiden Ländern ist der Körper der Frau von der politischen Rechten zu einem zentralen Schlachtfeld im aufziehenden Kulturkampf gemacht worden. Es ist eine Aussicht, die der AfD gefallen dürfte.