„Unsere Städte kochen in zehn Jahren“

In Duisburg wurden vor vier Jahren 41,2 Grad Celsius verzeichnet – die höchste je gemessene Temperatur in Deutschland. Der Klimawandel wird unsere Städte aufheizen. Wie wir kühle Inseln schaffen, weiß Landschaftsarchitekt Stephan Lenzen

Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 20/2023, Foto oben: Anna Ziegler

Duisburg und Tönisvorst, zwei Kommunen in Nordrhein-Westfalen, verzeichneten 2019 jeweils 41,2 Grad – die höchste je gemessene Temperatur in Deutschland. Das liegt am Klimawandel, der unsere Städte auch in Zukunft immer mehr aufheizen wird. Was kann man dagegen tun? Stephan Lenzen ist Landschaftsarchitekt. Er hat die diesjährige Bundesgartenschau (BUGA) in Mannheim konzipiert, die noch bis 8. Oktober 2023 läuft. Für ihn ist klar: Um den zunehmenden Hitzestress auszugleichen, braucht es in deutschen Städten eine Verdopplung des Grünanteils. Wieso Paris ein Vorbild für uns sein kann, erklärt er hier.

der Freitag: Herr Lenzen, worauf müssen wir uns künftig gefasst machen in den Städten?

Stephan Lenzen: Erhitzt sich die Erde, kochen die Städte. Manche haben sich schon um mehr als zwei Grad erwärmt. Für Temperaturen über 40 Grad Celsius und monsunartige Regenfälle sind unsere Städte nicht ausgelegt. Durch die Dichte der Bebauung entstehen dort viele Hitzeinseln. Alle Gebäude einfach runterzukühlen kostet zu viel Energie. Also müssen wir mehr Bäume zur natürlichen Kühlung pflanzen – und zwar jetzt.

Bäume pflanzen gegen den Klimawandel: Ist das so einfach?

Nein. Bis ein Baum, den ich jetzt pflanze, seine volle kühlende Wirkung entfaltet, vergehen mindestens 30 Jahre. Hinzu kommt, dass gerade ein Großteil unserer Straßenbäume eingehen. Die meisten Städte schaffen es nicht einmal, den Ist-Zustand zu erhalten. Das liegt auch an falschen Baumarten, die sich nicht an die veränderten klimatischen Verhältnisse anpassen können.

Welche Bäume brauchen wir?

Es werden jetzt keine Palmenwälder in Brandenburg entstehen. Aber wir werden Baumarten pflanzen, die wir aus südlicheren Ländern kennen. Welche das sind, wird sich innerhalb Deutschlands unterscheiden, etwa zwischen München und Berlin, das viel trockener sein wird.

Wie können wir Bäume vor dem Austrocknen schützen?

Unsere Strukturen sind darauf ausgerichtet, in den Städten das Niederschlagswasser wegzuführen. Wir müssen das ändern und versuchen, das Wasser den Straßenbäumen verfügbar zu machen. Gleichzeitig müssen wir unsere Räume so planen, dass wir Starkregen sammeln können und es nicht zu Überschwemmungen kommt. Die Kanalisation können wir nicht mal eben umbauen, das würde Milliarden kosten. Also müssen wir Oberflächen bauen, wo Wasser auch mal stehenbleiben kann.

2011 kam in Kopenhagen innerhalb einer Stunde so viel Regen runter wie normalerweise in zwei Monaten.

Genau. Und dann haben sie begonnen, das Prinzip Schwammstadt umzusetzen.

Schwammstadt …?

Ja. Das heißt, es wurden Flächen geschaffen, die große Mengen an Wasser aufnehmen und zeitverzögert wieder abgeben können. Aber wieso braucht es immer so ein Ereignis, um bei uns Menschen eine Reaktion auszulösen? Wir sollten nicht darauf warten, bis jede Stadt unter Wasser steht. Von meinem Büro in Bonn ist das Ahrtal direkt in der Nähe, das ist bundesweit im Fernsehen gewesen, aber es dauert kein Jahr, dann vergessen die Menschen, die nicht gerade in Bad Neuenahr leben, diese Flut wieder.

Werden Flutkatastrophen Alltag?

Es soll jetzt nicht nur um Extreme gehen. Aber ich glaube, dass Fluten und gleichzeitig 40-Grad-Tage in den Städten viel häufiger vorkommen werden. Und das trifft vor allem die gesundheitlich Angeschlagenen und die Schwächeren in unserer Gesellschaft. Wir haben heute bis zu sechs Millionen über 80-Jährige, ihre Zahl könnte sich bis 2050 fast verdoppeln. Wir müssen nicht nur schauen, wo in unseren Städten Starkregen schlimme Folgen verursacht oder wo die Hitzeinseln sind, wir müssen eigentlich das Gesamtkonstrukt Stadt neu denken. Wir müssen schauen, wie Kaltluft in die Innenstädte ziehen und die heiße Luft hinausströmen kann. Wir brauchen Kanäle von außen, um die Kaltluft nach innen zu bringen.

Haben Sie im Rahmen der Bundesgartenschau in Mannheim etwas voranbringen können?

Wir haben zum Beispiel den Grünzug Nordost entwickelt und dabei geschaut, wo Kaltluftschneisen sind, die in die Innenstadt gelangen können. Und da spielt der Spinelli-Park eine Rolle. Das Tolle an dem Park ist, dass die Stadt Mannheim darauf verzichtet hat, die Freifläche an Investoren zu verkaufen, obwohl die zur Bebauung prädestiniert wäre. Mannheim hat erkannt, dass es wichtiger ist, die Stadt an die perspektivischen Klimaveränderungen anzupassen. Also hat man alte Kasernen abgerissen und einen 150 Meter breiten Korridor freigelassen, damit die wabernde Kaltluft genügend Platz hat, um sich ihren Weg in die Innenstadt zu bahnen.

Passiert genug in Sachen Klimaanpassung in Deutschland?

Ich habe für die diesjährige Verleihung des deutschen Landschaftsarchitekturpreises einen neuen Preis auserkoren: den „Sonderpreis für gute Beispiele von Kolleginnen und Kollegen für Klimaanpassung“.

Und, wer hat den bekommen?

Niemand. Wir haben den Preis nicht vergeben, weil es bisher keinen gebauten Beitrag gibt, der den Kriterien entsprochen hat. Dabei wissen wir schon so lange, dass Städte dem Klima angepasst werden müssen, es gibt ganz schöne Papiere dazu, aber umgesetzt werden sie nicht. Berlin hat eine eigene Regenwasser-Management-Agentur, die fachlich total klasse ist, aber die Vorzeigeprojekte in Berlin sind trotzdem noch aus den Neunzigern.

Kennen Sie Städte außerhalb Deutschlands, wo es besser läuft?

Ich war im vergangenen Jahr in Paris und fasziniert, wie sich die Innenstadt verändert hat. Es gibt viele begrünte Dächer, Hausfassaden und Plätze. Und es gibt verkehrsberuhigte Zonen, die die Stadt fußgängerfreundlicher gemacht haben. Die Bürgermeisterin hat das einfach mal durchgesetzt. Alle Stadtplaner sind auch schon in Kopenhagen gewesen, bewundern die gut ausgebauten Fahrradwege. Klar, das fängt hier langsam auch an, aber bislang sehe ich nur lebensgefährliche weiße Markierungen auf unseren Straßen. Vielleicht noch mit Betonelementen abgegrenzt – liebloser geht es ja wohl nicht mehr.

Für Reiche ist Klimaanpassung einfach. Werden auch die Wohnsiedlungen der Armen begrünt?

Reiche können sich einfach eine Klimaanlage ins Haus einbauen, umziehen oder einen großen Garten haben. Sie trifft der Klimawandel nicht so hart. Aber in einer großen Wohnsiedlung mit wenig Grün und wenig Geld hat das eine radikale Wirkung. Klimaanpassung darf auf jeden Fall kein Luxus werden. Uns Landschaftsarchitekten wird oft vorgeworfen, dass wir mit unseren Freiflächen gentrifizieren würden. Wir entwickeln aber Landschaften für die Leute, die da leben. Damit Wohnungen nicht durch Grünflächen beliebter und die Mietpreise höher werden, muss man in jedem Stadtteil Grünflächen anlegen.

Kennen Sie Städte, wo eine sozial gerechte Klimaanpassung schon begonnen hat?

Wien ist im Sozialwohnungsbau eine der fortschrittlichsten Städte. Dort sagt man, dass die Grünflächen auch ein Faktor der sozialen Gerechtigkeit sind. Ich finde, das ist ein guter Ansatz.

Wie sollte Klimaneutralität besser vermarktet werden?

Meiner Meinung nach läuft gerade auch die falsche Diskussion: Klimaneutralität wird immer als Verbot, Verlust, Verzicht wahrgenommen. Man muss deutlich machen: Die Städte werden durch die Klimaanpassung menschlicher. Denn jetzt sind sie Maßstab des Autos. Und das ist keine menschliche Geschwindigkeit.

Wie könnte man die grüne Stadt denn besser anpreisen?

Vielleicht so: Der Umbau ist erstmal nur temporär. Wenn wir das ein-, zweimal gemacht haben, dann sehen Menschen die Veränderung positiv und vertrauen den weiteren Schritten. Wir sollten die neu gewonnenen Freiflächen nicht mit intellektuellen Möbeln ausstatten, die man nur als Installation oder Happening wahrnimmt. Wir brauchen vernünftige Alternativen, wenn wir Städte autofrei machen wollen. Und es darf nicht alles teurer werden.

Wem gehört aktuell die Stadt?

Den Autos, aber auch den Investoren. Und der Boden gehört den Kabeln und Leitungen. Man kann sich nicht vorstellen, wie chaotisch der Untergrund in den Städten ist – und das in einem Land wie Deutschland, das ja immer als sehr ordnungsliebend dargestellt wird. Da laufen Leitungen kreuz und quer, da kann jedes Telekommunikations-Unternehmen machen, was es will. Und dann haben wir natürlich kaum noch Flächen, wo wir die Bäume hinsetzen können, damit sie wiederum Platz haben, um Wurzeln schlagen zu können. Man hat schon fast das Gefühl, dass die Stadt gar nicht mehr die Hoheit über ihren Untergrund hat.

Wie kann die Stadt diese Hoheit zurückbekommen?

Leitungen umlegen für Straßenbäume darf kein Tabuthema sein. Die Hierarchie muss eine andere werden. Das heißt, der Baum muss im Grunde genommen in seiner Wirkung eine höhere Hierarchie bekommen. Denn für den Baum ist das Entscheidende der Untergrund. Wenn der überleben soll, brauchen wir mehr Volumen im Untergrund, als die Stadtbäume vielleicht vor zwanzig Jahren noch gebraucht haben – weil es trockener wird. Wir brauchen mehr Volumen, damit der Baum genügend Wasser bekommen kann.

Haben Sie noch Hoffnung, dass wir schnell genug handeln?

Ich glaube schon, dass wir mehr radikale Maßnahmen brauchen. In den städtischen Räumen mit Hitzeinseln müssen wir Parkplätze entsiegeln, um eine Verdopplung der Grünflächen, die absolut notwendig ist, hinzubekommen. Eigentlich haben wir nur noch zehn Jahre, um unsere Städte grüner zu machen. Denn sie wird der Klimawandel am meisten und am schnellsten treffen.