Erschienen in Der Freitag, Ausgabe 45/2022, Collage oben: Eva Kienholz
Zwei Tage nach der Razzia gegen ein Netzwerk von Reichsbürgern lädt Thüringens AfD-Chef Björn Höcke ein neues Facebook-Titelbild hoch. Er selbst ist darauf zu sehen. Mit nachdenklicher Miene und grauem Schopf schaut er nach links oben, zu diesem Satz: „Putscht eigentlich eine Regierung, die einen Putsch inszeniert?“
Es sind vor allem solche Reaktionen einflussreicher AfD-Politiker, die aufhorchen lassen. Unter den bislang 25 Festgenommenen des Netzwerks haben zwei Personen direkte Verbindungen zur Partei: Christian Wendler, ein ehemaliger Stadtrat aus dem Erzgebirge, sowie Birgit Malsack-Winkemann, einst AfD-Bundestagsabgeordnete und bis zur Razzia auf der AfD-Website aufgeführte Beisitzerin des Bundesschiedsgerichts. Innerhalb der Partei gehörte sie dem gemäßigten Lager an.
Im Umgang mit der Razzia zeigt sich ein Phänomen, das sich bereits vorher angedeutet hat: Die AfD scheint ihre alten Grabenkämpfe weitgehend überwunden zu haben, zeigt sich geeint und strebt gemeinsam noch weiter nach rechts. Gleichzeitig kommt sie aktuell in bundesweiten Umfragen auf 15 Prozent. Eine Insa-Umfrage vom September wies sie als stärkste Partei in Ostdeutschland aus. Vielleicht liegen die guten Umfragewerte auch daran, dass es vor der Razzia gegen Reichsbürger stiller geworden ist um die einst so schrille Partei.
Wie geeint die AfD sich mittlerweile präsentiert, zeigen Äußerungen eigentlich gemäßigter Kräfte im Internet, etwa des Berliner AfD-Politikers Georg Pazderski. Die „Razzia gegen die Greise der Reichsbürger war toll inszeniert“, twitterte er, um „die Bluttat von Illerkirchberg aus den Schlagzeilen zu verdrängen“ – gemeint ist die tödliche Messerattacke auf ein 14-jähriges Mädchen, mutmaßlich verübt von einem Geflüchteten aus Eritrea. Ins gleiche Horn bläst – diesmal aus dem radikalen Parteiflügel – Hans-Thomas Tillschneider, Landtagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt, in einem Facebook-Video: „Um die Bürger vollends abzulenken von der Geschichte, zaubert man eine rechtsextreme Reichsbürger-Terror-Gruppe aus dem Hut.“ So wird die Razzia gegen militante Staatsfeinde fix zu einem lächerlichen Ablenkungsmanöver der Regierung, um das angebliche Migrationsversagen zu vertuschen. Tillschneider forderte bereits 2016 beim „Kyffhäusertreffen“, die Abgrenzung zu einigen rechtsextremen Gruppen aufzugeben. Ziel sei es, die Regierung zu übernehmen, „wenn das Establishment zusammengebrochen ist und wir die Mehrheit sind“.
Die neue Einigkeit hatte sich bereits beim letzten Bundesparteitag angedeutet, als ein neuer Bundesvorstand von Höckes Gnaden gewählt worden war. Auch thematisch scheint die Partei seither geeint: weniger Migration, mehr fossile Brennstoffe, keine Sanktionen gegen Russland. Und vor allem: „Unser Land zuerst“ – so die aktuelle Kampagne der AfD, unter deren Banner im Oktober 10.000 Sympathisanten in Berlin zu einer Demo zusammenkamen.
An einer großen Anti-Corona-Demo im August 2020 nahm auch Birgit Malsack-Winkemann teil. Die im Zuge der Razzia Festgenommene saß von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag. In einer Bundestagsrede behauptete sie mal, Geflüchtete seien „mit antibiotikaresistenten Bakterien besiedelt“. Während der Corona-Pandemie spekulierte sie, ein 13-jähriges Mädchen sei gestorben, weil es eine Maske getragen habe. Für die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe sollte sie in einer neuen Regierung die Leitung des Justiz-Gremiums übernehmen. Heinrich XIII. Prinz Reuß, ein glühender Anhänger der Monarchie und Verschwörungserzähler, soll als neuer Regent vorgesehen gewesen sein.
Was die Truppe bei all ihrer Skurrilität so gefährlich macht, ist ihr tiefer Hass auf den Staat – und ihr Zugang zu Waffen. Mehrere der Beschuldigten, darunter einstige und aktive Soldaten und Polizisten, sollen Pistolen und Gewehre besessen haben. Das wundert kaum, kam es doch in den vergangenen Jahren in Deutschland häufiger zu Angriffen aus diesem Milieu. 2016 starb in Bayern ein Polizist, als ein Reichsbürger das Feuer eröffnete, weil ihm seine Waffen abgenommen werden sollten.
Umsturzfantasien und nach außen kommuniziertes Misstrauen in Eliten – damit hat sich die AfD viele Freunde gemacht: in ihrer Funktion als Sammelbecken verschiedener rechter und rechtsextremer Gruppierungen sowie als Plattform derer, die glauben, dass Deutschland eine Diktatur oder kein souveräner Staat sei: Reichsbürger, Querdenker, QAnon-Anhänger, Verschwörungsideologen, Corona-Leugner.
Der besonders seit der Pandemie unter Verschwörungsideologen geläufige Mythos vom „Great Reset“, dem „großen Neustart“ – als vermeintlich globales Elitenprojekt –, fand sich im Entwurf für das AfD-Wahlprogramm, das 2021 auf dem Bundesparteitag in Dresden beschlossen wurde. Im Sachantrag „Euro und EU sind gescheitert“ hieß es: „Angesichts von Konzepten wie dem ‚Great Reset‘ besteht zumindest der Verdacht, dass die Corona-Politik gezielt genutzt wird, um die Agenden der herrschenden Politik weiter voranzubringen.“ Darauf verweist der „Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und ‚Corona-Leugnern‘“, herausgegeben im Mai 2021 vom nordrhein-westfälischen Innenministerium. Im finalen Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 taucht diese Passage dann aber nicht mehr auf.
Im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte das Berliner „Center für Monitoring, Analyse und Strategie“ (CeMAS) eine Studie über die Bedeutung von QAnon im deutschsprachigen Raum. Demnach glauben vor allem AfD-Wähler an QAnon-Verschwörungserzählungen, etwa an eine fremde Macht, die im Hintergrund die Fäden ziehe, an eine weltweit agierende satanische Elite, die einen globalen Kinderhandel betreibt oder daran, dass „wahre Patrioten“ zur Gewalt greifen müssten, um die Ordnung wiederherzustellen. Von den 1.970 Befragten in Deutschland stimmten knapp 44 Prozent der befragten AfD-Wähler dem (eher) zu.
Mit Beginn der Pandemie wäre auch die Reichweite der QAnon-Szene auf Youtube und Telegram explodiert, so eine Erkenntnis der Studie. Verschwörungserzählungen aus der QAnon-Bewegung verknüpften sich dabei mit solchen aus dem Reichsbürger-Milieu. Das CeMAS warnt: Globale Krisen seien Treibstoff für die QAnon-Szene.
Zudem erzeugen globale Krisen natürlich regionale und lokale Krisen, von denen die AfD profitiert. „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“, formulierte es einmal der langjährige AfD-Pressesprecher Christian Lüth in einem verdeckt geführten Gespräch mit einer Youtuberin.
Besonders Corona offenbarte Allianzen zwischen AfD und Rechtsextremisten, Pegida-Anhängern, Reichsbürgern und Montagsspaziergängern. Die Querdenker-Demo im August 2020 gipfelte in der Erstürmung der Reichtstagstreppe. Drei Monate später verschafften AfD-Abgeordnete Querdenkern Zugang zum Bundestag, wo letztere Abgeordnete anderer Parteien bedrängten.
Lange haben sowohl Experten außerhalb der Partei als auch die AfD selbst befürchtet, eine Radikalisierung unter Höcke werde ihr schaden, Wählerinnen und Wähler würden sich abwenden und sie zu einer Kleinpartei degradieren. Die tatsächlichen Entwicklungen zeigen aber, dass das nicht der Fall sein muss. Ohne den großen Zwist, der die AfD stets unprofessionell und zu sehr mit sich selbst beschäftigt wirken ließ, scheint sie ihr Potenzial verstetigt zu haben. Ob ihr der Skandal um die Reichsbürger bei ihrer Klientel schadet, ist zwar noch offen, scheint aber unwahrscheinlich. Höckes neues Putsch-Titelbild bei Facebook kommentierte ein Sympathisant jedenfalls so: „Und wer ist wieder mal der Initiator, wer hätte es gedacht, natürlich die AfD. Es wird nichts unversucht gelassen, die AfD zu diskreditieren.“ Dazu postete er drei blaue Herzchen.